Ausgrabungen bei Iffelsdorf: Vom Slawen-Kind blieb nur ein Milchzahn

Iffelsdorf bei Pfreimd
30.09.2021 - 14:46 Uhr
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New York ist eine Metropole und Iffelsdorf eine Nekropole. Das steht zweifelsfrei fest, nachdem Studenten dort immer mehr Gräber aus dem Frühmittelalter freilegen. Im Gespräch mit Oberpfalz-Medien erzählen sie, warum sie das tun.

Pauline Hofleitner sitzt auf dem fein säuberlich abgeschabten Boden und streicht mit einer Spachtel über eine mit ockerfarbenen Sand gefüllten Kuhle. "Das war mal ein Kindergrab", sagt die 23-Jährige und deutet auf die Erde. "Hier lag der Kopf und dort lagen die Füße." Von den sterblichen Überresten des kleinen Menschen ist fast nichts mehr übrig, nur ein kleines, aber wichtiges Detail blieb erhalten: Einen Milchzahn hat die Studentin im Sand gefunden.

Ein Grab neben dem anderen

Die junge Frau studiert Anthropologie an der Universität Wien und gehört zu dem 14-köpfigen Team, das noch bis Ende der Woche südlich von Iffelsdorf ein riesiges Gräberfeld freilegt. Seit mittlerweile zehn Jahren tragen Fachleute auf dem Acker an der Straße Richtung Untersteinbach immer wieder mal für ein paar Wochen systematisch den Boden ab, um der Geschichte dieses Ortes auf den Grund zu gehen. "Wir befinden uns hier an einer slawischen Nekropole", erklärt der Kreisheimatpfleger für Archäologie, Kurt Engelhardt. Ein Grab reiht sich an das andere. Die Menschen, die hier bestattet wurden, lebten im frühen Mittelalter vor etwa 1200 Jahren, in einer Zeit, in der sich die Kulturen der Slawen und der Bajuwaren entlang der Naab vermischten.

Dr. Hans Losert ist Mittelalterarchäologe und lehrt als Privatdozent an der Universität Bamberg. Für seine Studenten hat er an der Nekropole Iffelsdorf eine neue vierwöchige Lehrveranstaltung angesetzt. Aus Wien ist dazu sein alter Freund Prof. Dr. Erik Szameit angereist. "Was wir hier vor uns haben ist jetzt schon der größte Fund in der Oberpfalz aus dieser Zeit", umreißt Szameit die Bedeutung des Projekts - ein idealer Schulungsort für die Studenten. Pauline Hofleitner liebt die Arbeit draußen unter freiem Himmel. "Das halt ganz was anderes als an der Uni", sagt die junge Österreicherin. Sie beschäftigt sich normalerweise eher theoretisch mit menschlichen Gebeinen. "Das Besondere hier ist, dass man die Skelette in situ, also in der ursprünglichen Position, sehen kann."

Einige Meter weiter steht Ines Görlich (22) mit einer Schaufel in der Hand in einer rechteckig ausgehobenen Grube. "Es ist einfach faszinierend, wiederzuentdecken, wie die Menschen früher gelebt haben", sagt sie. Für diese Faszination nimmt sie die Grabungsarbeit bei Wind und Wetter und die Anreise von Wien in Kauf. "Das ist doch eine schöne Abwechslung zur Bibliothek." So schön, dass die Studentin zum zweiten Mal an der Lehrgrabung teilnimmt, obwohl sie das für ihr Studium gar nicht müsste. Einquartiert ist das gesamte Grabungsteam im Gasthaus Schießl in Altendorf, von dort aus pendelt die Crew jeden Tag zu dem geschichtsträchtigen Acker nach Iffelsdorf.

International und interdisziplinär

Auch zwei US-Amerikaner gehören der Gruppe an. "Ich hab die bei einer Grabung in Frankreich kennengelernt und gefragt, ob sie mitkommen wollen", erzählt Grabungstechnikerin Jennifer Portschy. Das 14-köpfige Team ist nicht nur international besetzt, sondern auch interdisziplinär: mit Leuten von den Mittelalterstudien, der Ägyptologie, Biologie, Geologie und Kunsthistorik. "Das ist besonders hilfreich, weil jeder seine Erkenntnisse beitragen kann", sagt Portschy. Fachwissen aus verschiedenen Bereichen ist tatsächlich gefragt. Nur so können die Rätsel gelöst werden, die der Boden freigibt.

Eines der größten Rätsel stellte ein Grab dar, das im November 2013 entdeckt wurde. Ein junger Mann im Alter von etwa 25 Jahre war darin bestattet, bekleidet mit einem mysteriösen Gürtelschmuck. Wie sich später herausstellte, handelte es sich um Reste der Rüstung eines awarischen Reiters. Die Awaren entstammten der zentralasiatischen Steppe und kamen im 8. Jahrhundert scheinbar bis in die Oberpfalz. Iffelsdorf markiert den westlichsten Fundort einer solchen Reiter-Bekleidung. Die vergoldete Hauptriemenzunge, die das Ende des Gürtelriemens schmückte, war bis dato einzigartig. Mittlerweile wurde bei einer Grabung in Lany (Südmähren, 400 Kilometer entfernt) ein nahezu identisches Stück gefunden. Dr. Losert geht davon aus, dass beide Riemenzungen auf ein und die selbe Gussform zurückgehen.

Ob Aware, Slawe, Bajuware oder moderner Oberpfälzer: Gefeiert wurde in Iffelsdorf schon immer und besonders auf dem Gräberfeld. "Wir haben an ganz vielen Gräbern Feuerstellen gefunden", berichtet Prof. Szameit. Dabei handelt es sich nicht zwangsläufig um Einäscherungsplätze, sondern wohl eher um Kochstellen. "Hier wurde gegessen und getrunken", ist auch Dr. Losert sicher. Er geht davon aus, dass der Leichenschmaus bei den Iffelsdorfer Gräbern eine wichtige Funktion erfüllt hat und mitunter ausgeartet ist. Über solche Vorkommnisse - auch bei den Slawen - gebe es sogar Schriftquellen. An diesem Tag bei den Grabungen an der Straße nach Untersteinbach musste ein angekokeltes Hühnerbein als Beleg reichen. Es lag gleich neben dem Kindergrab, in dem Pauline Hofleitner den Milchzahn gefunden hat.

Iffelsdorf bei Pfreimd04.10.2020

Onetz-Bericht über den Fund des awarischen Gürtelriemens in Iffelsdorf

Info:

Ausgrabungen bei Iffelsdorf

  • Slawisches Gräberfeld aus dem frühen Mittelalter.
  • Keine Brandbestattungen, Feuerstellen für den Leichenschmaus.
  • Erste Funde in den 1950er-Jahren beim Bau der Straße nach Untersteinbach.
  • Seit 2011 systematische archäologische Untersuchungen durch die Universitäten Bamberg und Wien.
  • Bedeutendster Fund: Gürtelriemens eines awarischen Kriegers.
  • Finanzierung der Grabung durch Sponsoren mit Unterstützung der Stadt Pfreimd.
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