Warum Irchenrieth explodiert und Leuchtenberg schrumpft

Irchenrieth
27.01.2022 - 18:25 Uhr
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Bevölkerungs-Entwicklung: Irchenrieth ist der große Gewinner in der Nordoberpfalz, der direkte Nachbar Leuchtenberg einer der großen Verlierer. Warum Menschen in ein Dorf ziehen – und in das andere nicht.

Dort, wo die Straßen so schöne Namen tragen, hört man nachmittags immer irgendetwas. Auf dem Spielplatz neben dem „Wiesenweg“ kreischen zwei Mädels. Auf dem „Dachsweg“ kicken zwei Buben, der Fußball kratzt über den Asphalt. Auf dem „Igelweg“ schreit ein Baby, die Mutter beruhigt. Hinter dem „Hasenweg“ bellen Hunde. In den neuen Baugebieten von Irchenrieth ist was los.

Ein paar Hundert Meter vom „Fuchsenweg“ entfernt stehen Dana und Norbert Wurmstein vor ihrem Haus. Sie wollen gerade mit ihrem Hund Gassi gehen. Das Paar wohnt seit bald sechs Jahren in Irchenrieth. Über einen Bekannten sind die beiden auf den Ort aufmerksam geworden. „Wir haben uns das Grundstück angeschaut und es drei Wochen später gekauft“, sagt Norbert Wurmstein. Die Nähe zu Weiden, zur A93 und zur A6 seien die Hauptargumente gewesen. Sie kommt aus Weiden, er aus Neustadt/WN, beide arbeiten in Regensburg. Und natürlich war da noch der Preis. „Es war sehr günstig im Vergleich zu Schirmitz“, sagt Dana Wurmstein, das „sehr“ extrem betonend. „Mindestens die Hälfte billiger, wenn nicht sogar mehr.“

Die beiden sind nicht die Einzigen, die sich in den vergangenen Jahren fürs Bauen in Irchenrieth entschieden haben, in der kleinen Gemeinde im Kreis Neustadt/WN. Hunderte neue Häuser, Hunderte neue Einwohner. Das Dorf, das nicht mal ein richtiges Dorfzentrum hat, ist förmlich explodiert.

Fünf Kilometer südlich von Irchenrieth liegt Leuchtenberg. Den Nachbarort sieht man bereits von weitem, auf dem Berg thront die Burg, daneben der Kirchturm, darunter gelbe, grüne, weiße Häuser mit roten Dächern, eingerahmt von Wald. Postkartenidylle. Bayern von seiner besten Seite. Doch der Ort verliert seit Jahren überdurchschnittlich an Einwohner.

Die Gründe liegen tief

In den vergangenen zehn Jahren ist Leuchtenberg um 136 Einwohner geschrumpft, um fast 11 Prozent – in der Nordoberpfalz ist das prozentual der drittgrößte Verlust, nur Flossenbürg und Bad Neualbenreuth schneiden schlechter ab. Die Zahlen stammen vom bayerischen Landesamt für Statistik.

Im selben Zeitraum hat Irchenrieth 370 Einwohner dazugewonnen. Die Bevölkerung wuchs um fast 32 Prozent – in der Nordoberpfalz ist das prozentual der größte Zuwachs, in der ganzen Oberpfalz ist nur Sengenthal (Kreis Neumarkt) besser dran.

Obwohl Irchenrieth und Leuchtenberg Nachbargemeinden sind und beide an der B22 in der Nähe von Weiden liegen, entwickeln sie sich also in stark unterschiedliche Richtungen. Anfang 2011 hatte Irchenrieth 1165 Einwohner, Leuchtenberg genau 100 mehr. Zehn Jahre später hat Irchenrieth über 300 Einwohner mehr als sein Nachbar.

Woran liegt das?

Möchte man diese Frage beantworten, kommt man schnell zu den großen Themen. Wo können junge Familien noch günstig bauen? Wie finden Gemeinden neues Bauland? Welche Zukunft hat der ländliche Raum?

Wer mehr über Irchenrieth und Leuchtenberg erfahren will, ist bei Ernst Frischholz richtig. Er lebte 60 Jahre in Leuchtenberg und schreibt seit vielen Jahren über beide Orte als Berichterstatter für den „Neuen Tag“. Frischholz betont: „Man kann Irchenrieth und Leuchtenberg nicht vergleichen, das ist wie Äpfel und Birnen.“ Die Voraussetzungen seien sehr verschieden. Die Gründe, warum sich die eine Gemeinde so entwickelt und die andere so, lägen tief. Es geht um die Vergangenheit, um politisches Engagement, Denkmalschutz, Geografie und auch Glück.

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Schlüssel liegt im Grunderwerb

„Wir aus Leuchtenberg haben immer auf Irchenrieth herabgeschaut“, erzählt Frischholz von früher. „Irchenrieth hatte ja als Dorf wenig Charakter, keine Ortsmitte.“ Da sei man bis vor 15 Jahren nur vorbeigefahren. Jetzt ist das anders. Ein bisschen so, als würde der FC Weiden-Ost plötzlich zwei Ligen über der SpVgg SV Weiden spielen.

Zentrale Lage, Nähe zu Autobahnen und Weiden, niedrige Grundstückspreise. Das alles seien Gründe, warum seine Gemeinde so wächst, sagt Josef Hammer, der Bürgermeister von Irchenrieth. Alles sei das aber nicht. „Eine große Hürde ist immer der Bebauungsplan“, erklärt der CSU-Mann. „Und da bin ich fit.“ Solche Pläne habe er auch schon mal in einem halben Jahr durchgezogen. „Wo andere Experten und Gutachter brauchen, macht das der Hammer selbst“, sagt Frischholz. Hammer ist Bauamtsleiter in der Verwaltungsgemeinde Schirmitz, zu der Irchenrieth gehört. Aber da ist noch mehr.

„Der Schlüssel zum Erfolg liegt im Grunderwerb“, meint der Bürgermeister. Und da hat die Ein-Ort-Gemeinde Glück. „Zwei Bauern gehört das ganze Gebiet um Irchenrieth“, erzählt Berichterstatter Frischholz. Und die gäben den Grund gerne her. „Mit denen muss man fair und ehrlich verhandeln“, sagt Hammer. „Die bekommen alle das gleiche. Nicht einer kriegt 50 Cent mehr.“

Hammer ist seit 2008 Bürgermeister, „seitdem es die neuen Baugebiete gibt“. Fast jedes Jahr wurde eins erschlossen. Neue Ortsteile entstanden aus dem Nichts, das Dorf wuchs und wuchs. Direkt an der B22 steht seit ein paar Jahren ein Versorgungszentrum mit Supermarkt, Bäcker, Metzger. Ein Gesundheitszentrum mit Ärzten, Apotheke und Physio kommt bald dazu.

Aber freilich bleibt so eine Wachstumsexplosion nicht ohne Nebengeräusche. Ein Irchenriether Landwirt geht juristisch gegen das neueste Baugebiet vor.

Bauen, wie man will

Die Menschen, die nach Irchenrieth gezogen sind, haben ihre Entscheidung nicht bereut. Kim und Vlastimil Köstler wohnen seit 2018 in ihrem Haus. Sie kam vor 20 Jahren mit ihren Eltern hierher, er stammt aus Weiden. „Wir wollten nicht zu weit weg von der Stadt“, sagt Vlastimil Köstler. Woanders hätten sie nicht viel geschaut, und Pirk, zum Beispiel, sei viel teurer gewesen. „Wir haben hier alles. Versorgung, Einkaufsmöglichkeiten“, sagt Kim Köstler. „Und gerade für die Kinder ist das super, auf der Straße ist immer was los. Es wohnen viele junge Familien hier.“ Die beiden haben einen Sohn und eine Tochter.

Warum Irchenrieth? Fragt man sich durch die neuen Baugebiete, fallen immer wieder dieselben zwei Antworten: Der niedrige Preis, die Nähe zu Weiden.

Dana und Norbert Wurmstein, die mit ihrem Hund Gassi gehen wollen, sagen das auch. Irchenrieth habe viele Vorteile – aber auch einen Nachteil: "Hier gibt es keine Zoiglstube", scherzen sie, um dann einen weiteren Grund, der fürs Bauen in Irchenrieth gesprochen habe, zu nennen: „Hier kannst du bauen, wie du willst.“ Man habe relativ freie Hand. „Der Bauplan ist hier ganz, ganz großzügig. In Weiden und Neustadt ist das schon anders“, sagt Norbert Wurmstein.

In den neuen Ortsteilen sieht man dann auch alles. Schräge Dächer, flache Dächer, normale Dächer. Einstöckige Häuser, zweistöckige Häuser. Nur bei einem Punkt scheinen fast alle gleich zu denken: der Farbe. Die allermeisten Häuser sind weiß gestrichen, die Dächer schwarz. Der Klassiker.

Unerwünschte „Bewohner“

So ein typisches Neubaugebiet entsteht mittlerweile auch in Leuchtenberg. „Am Pfarrhäusl“, 16 Parzellen, alle weg, ein paar Häuser stehen bereits. „Für uns ist das ein Riesending“, sagt Bürgermeister Anton Kappl. Es ist das erste Baugebiet im Ort seit gut 20 Jahren. Dazwischen ging da fast nichts voran. Die Gründe sind unterschiedlich. Denkmalschutz, aber auch politische Entscheidungen. „Die Entwicklung wurde verschlafen“, sagt Ernst Frischholz, der Berichterstatter. Seit Kappl 2014 zum Bürgermeister gewählt wurde, versucht der CSU-Politiker, das aufzuholen. Aber er hat mit einigen Hürden zu kämpfen. Kappl nimmt sich im Rathaus-Sitzungssaal lange Zeit, um die Probleme zu erklären. Die Leute würde ihn ständig fragen, warum Leuchtenberg nicht schafft, was Irchenrieth schafft.

„Wir kommen ganz schlecht an Grund heran“, sagt Kappl. Es stünden keine Äcker oder Wiesen zum Verkauf. Auch die Besitzer von unbebauten Grundstücken wollen nicht. In der ganzen Gemeinde mit ihren 18 Ortsteilen gibt es mehr als 60 freie Parzellen, auf denen nicht gebaut wird. Und im Zentrum Leuchtenbergs sind es etwa zehn leerstehende Häuser, auch hier will keiner verkaufen oder sanieren. „Da kann man nichts machen“, sagt Kappl, und man merkt, dass ihn das wurmt. Es ist ja nicht zu übersehen. Innerer Markt, nur ein Beispiel, direkt bei der Kirche, links und rechts der engen Straße stehen zwei leere Gebäude. Der Putz bröckelt, die Vorhänge und Fenster verdreckt. „Da sind schon etliche Bewohner in den Häusern“, sagt der Bürgermeister, „aber halt vierbeinige. Wie Marder“. Ein weiteres Problem sei der Bedarf an neuen Baugebieten. Weil da jahrelang nichts getan wurde, könne man den bei der Regierung der Oberpfalz nur schwer nachweisen. Die Statistik behauptet ja, dass die Leute hier nicht hinwollen. Was aber nicht stimme. „Das ist ein Teufelskreis“, meint Kappl.

Weggezogene befragen

Warum entwickeln sich Gemeinden so verschieden? „Der wichtigste Punkt ist, ob die Diversität im Ort gegeben ist“, sagt Professor Lothar Koppers. Wenn es für Senioren kein Angebot gibt, so der Demografie-Experte, könne die ältere Bevölkerung nicht mehr vor Ort leben. Fehlt es an einer Kita, sei es schwierig für junge Familien. Die Entfernung zum Arbeitsplatz, die Lage der Kommune – „es sind viele Faktoren, die bestimmen, ob eine Gemeinde gewinnt oder verliert“, meint Koppers, der lange in Nordostbayern gearbeitet hat.

Was kann man tun, um einen Niedergang zu verhindern? „Ich würde eine gründliche Analyse empfehlen“, sagt der Professor der Hochschule Anhalt in Dessau. „Die befragen, die wegziehen. Die befragen, die herziehen. Warum machen sie das?“ So taten es Koppers und sein Team vor Jahren in Wunsiedel. 2000 Interviews kamen zusammen. „Dadurch haben wir einen Trend gestoppt, eine Stabilisierung erreicht.“ Erstmals habe es in der Stadt wieder Neubauprojekte gegeben. Es gab wieder hochwertigen Wohnraum. Die Bewerber standen Schlange, so Koppers.

Auch Bürgermeister Kappl berichtet von vielen Interessenten, die in Leuchtenberg bleiben oder dorthin ziehen wollen. Die Nachfrage sei da, nur könne er sie nicht groß bedienen. Aber es geht voran. Das Gebiet „Am Pfarrhäusl“ brachte 16 neue Bauplätze, im Ortsteil Döllnitz entstehen 6 neue Parzellen. Und demnächst soll ein weiteres Baugebiet, „Ringlbrunnen III“, erschlossen werden, 11 neue Plätze. „Das ist nicht narrisch viel, aber wäre ein Erfolg“, sagt Kappl. Schritt für Schritt soll es besser werden. „Vor der Zukunft ist mir nicht Angst und Bange.“

In Irchenrieth schiebt Bürgermeister Hammer weiter an – „solange wir Grund erwerben können“, sagt er. Ein weiteres Neubaugebiet im Westen des Dorfs ist in Planung. Und im Süden, hinter dem „Hasenweg“, liegt auch noch viel freie Ackerfläche.

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