Es wird ein besonderes Weihnachten sein für Rico S. (Nachname auf Wunsch des Soldaten zum Schutz seiner Familie abgekürzt) und seine Familie. Obwohl es ihm lieber wäre, wenn alles wie jedes Jahr wäre – "dass nicht der Einsatz über allem schwebt", sagt der Bundeswehr-Offizier in seinem Büro. Das ist –derzeit noch – in der Schweppermannkaserne. "Der Einsatz" ist im Irak, ab Januar hat er dann dort seinen Arbeitsplatz. Der Kompaniechef der 3. Kompanie des Kümmersbrucker Logistikbataillons 472 ist für sechs Monate Teil eines kleinen Bundeswehr-Kontingents in Bagdad.
Als Kompaniechef habe er noch keine Gelegenheit gehabt, sich privat groß Gedanken über das nächste halbe Jahr zu machen, sagt S., während er an seinem Schreibtisch in der Schweppermannkaserne sitzt. Kein Schnickschnack, einfach nur ein Büro mit Schreibtisch und Computer. Natürlich laufen schon seit längerem militärische Vorbereitungen des Auslandseinsatzes, auch in Form von Lehrgängen. Weihnachten und Silvester verbringt der 33-Jährige mit seiner Familie, dann fliegt er in den Irak.
Keine Zeit zum Grübeln
Eigentlich kein Problem für ihn. Solche Aufträge gehören bei Berufssoldaten längst zum Alltag. Es ist nicht sein erster Auslandseinsatz. Aber diesmal ist alles anders: Der 33-Jährige hat inzwischen eine zweijährige Tochter. Und fragt sich: "Wird sie mich noch kennen, wenn ich aus dem Irak zurück bin?" Eine Frage, die andeutet, was hinter der nüchternen Nachricht steckt, dass Soldaten der Bundeswehr in einer Nato-Mission ein halbes Jahr in den Irak gehen.
Keine ganz neue Erfahrung für den Bundeswehrsoldaten: 2018 war er für vier Monate in Mali. Wahrscheinlich war das sogar gefährlicher als die jetzt bevorstehende Mission. "Eine gewisse Gefährdung besteht natürlich immer", erklärt S. ganz nüchtern. "Aber im Vergleich zu Mali ist das Gefahrenpotenzial geringer", so schätzt er die Lage ein. Und sieht deshalb auch "keine Veranlassung, die Familie zu beunruhigen". Darum haben er und seine Frau auch nicht groß über das "was wäre wenn" gesprochen. "Das haben wir letztes Mal nicht gemacht und diesmal auch nicht." Aber: "Es ist allen klar, dass etwas passieren kann."
"Das kriegen wir hin"
Seiner Frau "war schließlich klar, dass sie einen Soldaten geheiratet hat". Trotzdem war S. überrascht, wie unaufgeregt sie die Mitteilung vom Irak-Einsatz aufgenommen hat. "Sie musste damit rechnen. Wenn diese Karte gezogen wird, muss man damit umgehen." Das tun die beiden und sind überzeugt: "Das kriegen wir hin." Ein Kollege hat ihm den Tipp gegeben, seiner Frau für die sechs Monate seinen Teil des elterlichen Sorgerechts für das gemeinsame Kind zu übertragen. Es kann Notfälle geben, in denen beide Eltern eine Zustimmung geben müssen – das wird schwierig, wenn der Papa in Bagdad sitzt.
Das militärische Training sei gleich, "egal, ob es nach Zypern oder Mali geht", erklärt der Hauptmann. "Ich gehe gut vorbereitet in den Einsatz". Und ja: "Die Trennung von der Familie ist die größte Härte", das gibt er durchaus zu. "Aber weniger für mich, sondern mehr für die Familie". Seine Frau werde plötzlich ein halbes Jahr alleinerziehend sein. "Davor habe ich deutlich mehr Respekt" als vor dem, was ihm seine Mission abverlangen wird. Zumal seine Frau selbst berufstätig ist. Klar ist: "Ich kann ihr, außer nett zureden, am Telefon nicht helfen." Seine Eltern leben in der Nähe, die anderen Großeltern sind mit vier Stunden Anfahrt als Unterstützung eher keine Option. "Man muss versuchen, ein soziales Netzwerk aufzubauen", sagt S. – um zu wissen, "ich bin nicht allein". Der Gedanke, dass es Freunde und Nachbarn gibt, ist hilfreich.
Wie reagiert die Tochter?
Der 33-Jährige lacht. "Wo man im Notfall das Wasser abdreht, weiß meine Frau. Sie ist nicht so unbedarft in technischen Dingen." Ihre beruflich mögliche Flexibilität, auch mal vom Homeoffice aus zu arbeiten, mache auch vieles leichter. Und dann ist da noch das Betreuungszentrum der Bundeswehr, das "24/7", also an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr, Anlaufstelle für Soldaten-Familien ist. Nur beim Gedanken an seine Tochter weicht die Leichtigkeit kurz aus dem Gespräch. "Wird sie mich noch kennen, wenn ich zurückkomme?" Da ist sie wieder, diese Frage. "Sie ist jetzt knapp zwei Jahre alt. Wie soll ich ihr erklären, dass ich Monate weg bin?" Dass der Papa unter der Woche nicht daheim ist, weiß die Kleine: S. lebt in Erfurt, er ist Wochenend-Pendler, bleibt unter der Woche in Kümmersbruck. Ein Kollege hat ihm ein Bilderbuch zum Thema "Papa ist Soldat" empfohlen – geschrieben von einem Soldaten für Soldaten.
Kontakt zu halten, sei inzwischen bei Auslandseinsätzen einfacher als früher, das weiß S. aus seinem Mail-Einsatz. "Ich kann theoretisch täglich mit der Familie telefonieren." Theoretisch – weil sein Dienst seine Freizeiten vorgibt. Wenn der es zulässt, gibt es auch die Möglichkeit der Video-Telefonie, kostenlos, ohne zeitliche Begrenzung. Und ohne dass hinter einem schon eine Schlange von Kollegen wartet, die auch telefonieren wollen. Solche Kontakte sind S. wichtig, damit ihn seine Tochter "nicht nur regelmäßig hören, sondern auch sehen kann". Die größte Herausforderung werde dabei sein, "mal eine ruhige Minute oder einen Platz zu finden" für solche Gespräche: Im Irak ist der 33-Jährige in einer Zwei-Mann-Stube in einem Container untergebracht.
Wichtig: Post aus der Heimat
Neben den modernen Kommunikationsmöglichkeiten bekommen aber auch, ganz altmodisch, Briefe und Pakete aus der Heimat eine ganz besondere Bedeutung. Seine Frau habe sich schon für Mali "schöne Sachen ausgedacht": Kuchen im Glas, Süßigkeiten, Bücher. Selbst "ein Brief ist schon schöner als eine schnelle Textnachricht", sagt S. – und ein "echtes" Foto kann man sich im Gegensatz zum Handy-Schnappschuss auch in den Spind stellen. "Aber das dauert schon länger": Ein paar Wochen sei die Post unterwegs. Speziell im Irak, weil das kleine Bundeswehr-Kontingent dort kein eigenes Feldpostamt hat, sondern den zivilen Postweg über andere Länder wie Jordanien nutzen muss.
"Beim letzten Mal hat das alles gut geklappt", also ist der 33-Jährige guter Dinge, dass das diesmal auch so sein wird. "Das Ärgste war die lange Trennung. Aber es gab nichts, was richtig schiefgelaufen ist." Den zweiten Geburtstag seiner Tochter wird der Papa nur aus der Ferne mitfeiern können. Aber er will dabei sein, nur diesmal halt etwas anders. Vielleicht als Team-Konferenz, dann kann sich die ganze Familie mit dem Papa im Irak zusammenschalten.
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