Doktor Eisenbarth aus Oberviechtach: Ein erfolgreicher Wanderarzt in der Zeit des Barock

Oberviechtach
07.04.2022 - 15:54 Uhr
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Ein Spottlied hat dafür gesorgt, dass der berühmteste Sohn der Stadt Oberviechtach europaweit bekannt – und verrufen wurde. Tatsächlich aber leistete der Wanderarzt Johann Andreas Eisenbarth für seine Zeit Besonderes.

Seit mehr als 200 Jahren sorgen die Liedzeilen "Ich binn der Docktor Eisenbart, kurier die Leut auf meine Art, widewidewitt, bum, bum; kann machen das die Blinden wieder gehn, und das die Lahmen wieder sehn, widewidewitt, bum, bum" dafür, dass dem so Besungenen der Ruf eines Angebers sowie wahlweise eines Kurpfuschers und Scharlatans, anhaftet. Denn im Laufe des Spottliedes sterben die meisten von Doktor Eisenbarth behandelten Patienten – eben wegen dessen Behandlung. Dieser gibt sich gleichwohl selbstbewusst: "Das ist die Art, wie ich kurier, sie ist erprobt, ich bürg dafür! Daß jedes Mittel Wirkung tut, schwör ich bei meinem Doktorhut."

Mit der Spottgestalt hat der wirkliche Johann Andreas Eisenbarth aus Oberviechtach im heutigen Landkreis Schwandorf nichts gemein. Auch einen Doktorhut hatte der Wanderarzt aus dem 17. Jahrhundert nie. Wenngleich es ihm geschmeichelt haben soll, wenn er als Doktor bezeichnet wurde. Über den Autor des Spottliedes auf Eisenbarth ist wenig bekannt. Es wird vermutet, dass es Göttinger Studenten um 1800 gedichtet haben. Sie sollen bei einem Ausflug nach Hannoversch Münden auf den Grabstein des dort am 11. November 1727 auf der Durchreise verstorbenen Johann Andreas Eisenbarth gestoßen sein.

Das Lied "Ich bin der Doktor Eisenbart" über den angeberischen Kurpfuscher verbreitete sich zunächst als Geselligkeits- und Sauflied unter Studenten. Schon bald wurde es mit etlichen Neu- und Nachdichtungen sowie Übersetzungen in breiten gesellschaftlichen Schichten in ganz Europa populär. Im 20. Jahrhundert wandelt sich der Gesang vom Studenten- zum Jugendlied. Mitte der 1960er Jahre taucht es auch in einem christlichen Jugendliederbuch auf. Zuletzt diente der Spottgesang in den 1970er und 1980er Jahren der deutschen Anti-Atomkraft-Bewegung als Vorlage, um die Verfechter der Kernkraft zu attackieren.

Lehre als Okulist, Bruch- und Steinschneider

Doch wer war jener Johann Andreas Eisenbarth tatsächlich, der am 27. März 1663 in Oberviechtach das Licht der Welt erblickte? War er wirklich der Medizinstar des 17. Jahrhunderts, als der er bisweilen bezeichnet wird? Das Handwerk des Wanderarztes war ihm in die Wiege gelegt. Der Großvater war Sauschneider, also Kastrierer, und Chirurg. Sein Vater Mathias Eisenbarth war Okulist, Bruch- und Steinschneider in Oberviechtach und arbeitete als Wanderarzt. Johann Andreas Eisenbarth, der zwei Geschwister hat, lebt nur wenige Jahre in Oberviechtach. Als im Jahr 1673 sein Vater stirbt, kommt der zehnjährige Johann Andreas Eisenbarth zu seinem Schwager Alexander Biller nach Bamberg und geht bei dem Okulisten, Bruch- und Steinschneider in die Lehre. Im Jahr 1684 legt er als 21-Jähriger die Gesellenprüfung ab.

Eisenbarth macht sich als 22-Jähriger selbstständig. In der Stadt Altenburg erhält er sein erstes Privileg. Zu dieser Zeit besteht noch die Trennung von akademisch gebildeten Ärzten und handwerklich ausgebildeten Wundärzten, Badern und Chirurgen. Zur Ausübung des Wundarztberufes bedurfte es eines Privilegs, das heißt einer Erlaubnis durch den jeweiligen Landesherren. Angesichts der deutschen Kleinstaaterei braucht ein Wanderarzt wie Eisenbarth viele solcher Genehmigungen.

Ein ernstzunehmender Chirurg

Im Lauf seines 41-jährigen Wirkens besucht Eisenbarth mehr als 100 Orte, zunächst von Altenburg aus. Hier heiratet er auch Catharina Elisabetha Heinigke, mit der er sieben Kinder hat. Ab dem Jahr 1704 wohnt Eisenbarth in Magdeburg. Im Anwesen "Zum goldenen Apfel" werden seine Arzneien im großen Stil hergestellt, eine der ersten deutschen Arzneimanufakturen. Zu Hochzeiten reist Eisenbarth mit rund 120 Leuten mit Kutsche, Wagen und Pferden durch die deutschen Länder. In seinem Gefolge sind neben Helfern auch Musikanten, Gaukler und andere, die für Belustigungen sorgen.

Eisenbarth "war ein für seine Zeit ernstzunehmender Chirurg und Wundarzt", sagt Professorin Marion Ruisinger, die Leiterin des Deutschen Medizinhistorischen Museums in Ingolstadt. Als Mediziner würde die Ärztin und Professorin am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg ihn allerdings nicht bezeichnen. Ihm fehlt die universitäre Ausbildung. Bruchschneider wie Eisenbarth waren für Eingeweidebrüche (Hernien) zuständig. Das habe neben Leistenbrüchen auch den Hodenbruch, selten einen Nabelbruch oder einen Gebärmuttervorfall umfasst, erläutert Ruisinger: "Sie behandelten aber nicht nur operativ, sondern auch konservativ mit Hilfe von Bruchbändern." Als Steinschneider entfernte er Blasensteine aus der Harnblase.

Operationen bei vollem Bewusstsein

Patienten wurden bei vollem Bewusstsein operiert. Was extrem schmerzhaft war. Eine Narkose hätte ein zusätzliches Risiko bedeutet. Man habe zwar „einschläfern“, aber die Tiefe der künstlichen Bewusstlosigkeit nicht sicher kontrollieren und nicht zuverlässig wieder „aufwecken“ können, sagt Ruisinger. "Ein verantwortungsvoller Chirurg sah seine Aufgabe nicht darin, dem Patienten den Schmerz zu nehmen, sondern die Dauer des Schmerzes möglichst kurz zu halten." Das habe eine perfekte Vorbereitung erfordert, große chirurgische Geschicklichkeit und sehr gut eingearbeitete Helfer.

Große Geschicklichkeit als Chirurg wird Eisenbarth nachgesagt. Den größten Ruhm und den Titel eines "Königlich-Preußischen Hofrates und Hofokulisten" bringt ihm die Operation von David Georg von Graevenitz am 27. Februar 1716 ein. Auf Wunsch des preußischen Königs, des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I., entfernt Eisenbarth erfolgreich eine Kugel aus dem Auge des Offiziers. Berühmt ist Eisenbarth auch für den Starstich, die damalige Form der Behandlung des Grauen Stars. Dabei wird die trübe Augenlinse mit einer Nadel in den Glaskörper gedrückt. Dadurch fällt das Licht wieder ungetrübt auf die Netzhaut. Allerdings ist der Patient danach sehr stark weitsichtig. Eisenbarth entwickelt die dabei verwendete Starstichnadel weiter.

Lebendiges Denkmal in Oberviechtach

Johann Andreas Eisenbarth stirbt nach langer Krankheit auf der Durchreise am 11. November 1727 in Hannoversch Münden an einem Schlaganfall. Das die Erinnerung an ihn weiterlebt, ist nicht nur dem Spottlied geschuldet, sondern auch seiner Geburtsstadt Oberviechtach. Der Ort hat seinem berühmten Sohn in vieler Hinsicht ein lebendiges Denkmal gesetzt – unter anderem mit vielen Beiträgen zur Eisenbarth-Forschung und dem Doktor-Eisenbarth- und Stadtmuseum. Einer, der daran wesentlichen Anteil hat, ist Dr. Ludwig Schießl: "Die Bedeutung Doktor Eisenbarths für Oberviechtach besteht – kurz gesagt – darin, dass der Ort mit dem berühmten Okulisten, Bruch- und Steinschneider ein Alleinstellungsmerkmal besitzt, ein Pfund, mit dem sich trefflich wuchern lässt", sagt der Vorsitzende des Doktor-Eisenbarth-Arbeitskreises International und Autor des Buches "Doktor Eisenbarth (1663–1727) – Ein Meister seines Fachs". Er befasst sich seit Jahrzehnten mit dem Wanderarzt.

Seit 20 Jahren erinnern zudem die Doktor-Eisenbarth-Festspiele an den Wanderarzt. Daran wirken jeweils rund 120 Personen mit, vom Kleinkind bis zum 82-Jährigen, erzählt Bianca Reil. Sie hat als "Mutter Eisenbarth" angefangen, mittlerweile ist sie Vorsitzende des Vereins und damit auch Festspielleiterin. Ein Festspiel gibt es in diesem Jahr noch nicht, aber eine Uraufführung des Puppentheaters am Samstag, 9. Juli, in der Grundschule, die natürlich nach Eisenbarth benannt ist. Am Tag darauf, am Sonntag, 10. Juli, gibt es beim Stadtfest drei etwa 15 Minuten lange Eisenbarth-Geschichten. Das letzte Festspiel fand im Jahr 2019 statt. Wegen der Coronapandemie musste es danach ausfallen. Aber für das Jahr 2023 plant der Verein wieder eines.

Video über das Doktor-Eisenbarth- und Stadtmuseum Oberviechtach in Oberviechtach

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Oberviechtach06.03.2022
Hintergrund:

Doktor Eisenbarth und Oberviechtach

  • Geburt und Taufe: 27. März 1663 als Johann Andreas Eisenbarth in Oberviechtach.
  • Lehre: ab dem Alter von zehn Jahren Lehre als Okulist, Bruch- und Steinschneider bei seinem Schwager Alexander Biller in Bamberg.
  • Wanderarzt: ab dem Jahr 1685 zunächst von Altenburg aus, ab dem Jahr 1703 von Magdeburg aus.
  • Arzneihersteller: im Jahr 1704 Aufbau einer der ersten deutschen pharmazeutischen Manufakturen in Magdeburg.
  • Operationen: mehr als 3000 Eingriffe, darunter der Starstich, die Behandlung des grauen Stars.
  • Königlicher Titel: Erfolgreiche Entfernung einer Kugel aus dem Auge des preußischen Offiziers David Georg von Graevenitz im Jahr 1716. Eisenbarth erhält den Titel „Königlich Preußischer Hofrat und Hofokulist“.
  • Tod: Eisenbarth stirbt am 11. November 1727 auf der Durchreise in Hannoversch Münden.
  • Forscherkreis: Im Jahr 1963 Gründung des Doktor-Eisenbarth-Arbeitskreis-International in Oberviechtach.
  • Festspiele: Erstes Festspiel im Jahr 2002, Festspielverein gründete sich im Jahr 2000.
  • Jubiläum: 9. Juli 2022 "Tag der offenen Schulen" mit Eisenbarth-Szenen zum Mitspielen; 10. Juli 2022 Darbietung des neuen Spielformats „Stadt.Spiel.Platz.“.
  • Museum: Im Jahr 1967 Gründung des Doktor-Eisenbarth- und Stadtmuseum Oberviechtach, seit dem Jahr 2006 in der sanierten und erweiterten Marktmühle.
  • Öffnungszeiten: Dienstag und Donnerstag von 14 bis 16 Uhr sowie Sonntag von 14 bis 17 Uhr.
 
 

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