Eine Wallfahrt mitten in der Glaubenskrise

Regensburg
09.06.2022 - 15:10 Uhr

Die Kirche ist im Krisenmodus – das zeigt sich auch auf der 193. Fußwallfahrt nach Altötting. Reporter Sebastian Böhm ist mit gepilgert, um mit "seiner Kirche" ins Gespräch zu kommen. Das hat auch geklappt, doch seine Ungeduld bleibt.

Glaubenskrise, Vertrauenskrise, Kirchenkrise – es sind keine leichten Zeiten für die Pfarrer und Vertreter der beiden großen Glaubensgemeinschaften in Deutschland. Die Kirchenaustritte nehmen zu – auch in der katholisch geprägten Oberpfalz. Und was mache ich? Ich gehe pilgern. Ich wallfahre mit tausenden anderen Menschen von Regensburg nach Altötting. Ich erhoffe mir vor allem Antworten auf meine vielen ungeklärten Fragen.

Mein Name ist Sebastian Böhm, ich bin 31 Jahre alt, arbeite als Reporter bei Oberpfalz-Medien und ich möchte sprechen, weil es einfach viel Gesprächsbedarf gibt – und zwar mit den Vertretern "meiner Kirche", nämlich der katholischen. "Wir haben eine Krise des Glaubens, das wird niemand bestreiten können", antwortet mir der oberste katholische Vertreter der Oberpfalz, der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer. Auch er stand des öfteren in der Kritik. Zuletzt für mehr als fragwürdige Äußerungen im Zusammenhang mit dem Münchener Missbrauchsgutachten während einer Synodalversammlung Anfang Februar. Er hat sich danach für seine Aussagen entschuldigt.

Darauf angesprochen zeigt er sich gesprächsbereit. Man könne immer mit ihm darüber sprechen. "Ich möchte alle Menschen dazu einladen, sich bei der Frage nach dem Sinn ihres Lebens, auch mit der ganz persönlichen Frage nach Gott und ihrem Glauben zu beschäftigen", erklärt er. Auch das werde ich machen, an den nächsten drei Tagen der Wallfahrt. Der Bischof bleibt in Regensburg, ich ziehe weiter in Richtung Altötting.

Video-Reportage: Eine Wallfahrt in der Glaubenskrise - ein Pilger hat noch Fragen

Austritte liegen im Trend

In meinem Bekanntenkreis sind bereits viele aus der Kirche ausgetreten, vor allem Anfang dieses Jahres, als das Missbrauchsgutachten aus München große Wellen schlug. Und ja, auch ich habe schon mehr als einmal mit dem Gedanken gespielt, aus der Kirche auszutreten. Ich finde viele Dinge, die im Zusammenhang mit "meiner Kirche" passiert sind, einfach nur erschreckend und peinlich.

Und meine Austrittsüberlegungen scheinen im Trend zu liegen. Waren noch 1990 mehr als 72 Prozent der deutschen Bevölkerung Mitglied in einer der großen Kirchen, ist die Zahl im Frühjahr 2022 erstmals seit Jahrhunderten unter 50 Prozent gefallen. Dies geht aus einer Hochrechnung der Evangelischen Kirche in Deutschland hervor.

Und dennoch: Die Kirchen spielen trotzdem immer noch eine große Rolle im Leben vieler Menschen. Vor allem in den Zeiten des größten Glücks und der tiefsten Trauer – bei Hochzeiten und Beerdigungen – sind sie für viele immer noch eine selbstverständliche Anlaufstelle, egal ob strenggläubig oder nicht. Und die Kirche ist Arbeitgeber – einer der größten in Deutschland.

Die Krise als Thema beim Pilgern

Projekte wie "Der Synodale Weg" und "Maria 2.0" zeigen: Die Kirche ist im Krisenmodus, das ist auch auf der 193. Regensburger Diözesanwallfahrt deutlich zu merken. Denn Nabburgs Pfarrer Hannes Lorenz macht die Krise zum Thema, bei seinem geistlichen Wort auf der Wallfahrt. Seine Worte dringen durch die Lautsprecher an die pilgernden Zuhörer. Und Lorenz lässt keines der unangenehmen Themen aus. Mal ist Kopfnicken bei den Wallfahrern zu erkennen, mal diskutieren sie kontrovers über die Gedanken von Hannes Lorenz. Mir wird klar: Selbst hier – unter den scheinbar Gläubigsten der Gläubigen – gibt es unterschiedliche Meinungen darüber, wie es mit der Kirche weitergehen soll.

"Das Erscheinungsbild der Kirche in den momentanen Stürmen ist nicht so, dass man problemlos Zustimmung kriegen würde, gerade bei den jungen Leuten, die von Natur aus kritisch sind und die mit den Skandalen und Unvorstellbarkeiten der letzten Monate und Jahre umso mehr konfrontiert sind", sagt Hannes Lorenz. Diese müssten sich entscheiden – und viele entscheiden sich gegen die Kirche. Das wolle er ändern. Die Veränderung müsse aber in den Pfarrgemeinden selbst beginnen – im Kleinen.

"Kirche ist nicht Selbstzweck", sagt Ambergs Stadtpfarrer Markus Brunner. In letzter Zeit sei sie als Institution einfach zu sehr im Vordergrund gestanden. Man habe sich zu viel mit sich selbst beschäftigt. Pfarrvikar Christian Preitschaft, der für die Gemeinden Hahnbach mit Ursulapoppenricht und Gebenbach zuständig ist, erklärt, dass er nicht an der Position sei, bei Konferenzen in Berlin zu sitzen und über die Zukunft der Kirche zu debattieren. "Meine Aufgabe ist es, das vor Ort zu tun. Ich rede mit jedem, ich lasse mir auch alles sagen. Das wissen die Leute aber auch. Manchmal kommt dann ein Frustgespräch zustande, das darf dann aber auch mal sein, aber dann hat man sich wenigstens mal ausgesprochen."

"Die Tatsache, dass wir miteinander reden und diskutieren, wird hoffentlich auch viele Impulse bringen, was wir hier in Deutschland machen können, ohne dass es die Veränderung des Kirchenrechts oder die Zustimmung aus Rom braucht, da gäbe es viele Dinge, die sich bewegen müssten", sagt Hannes Lorenz. Denn er gibt zu bedenken, dass die Kirche weltweit zu Hause ist. Auch klar: Das verlangsamt den Veränderungsprozess.

Die Bereitschaft zu kämpfen

Die Zeiten, in denen die Kirche wie selbstverständlich zum Leben der meisten Menschen gehört hat, sind vorbei. Mein Eindruck von dieser Wallfahrt ist: Meine Gesprächspartner sind sich dessen bewusst und sie sind bereit, um jede Gläubige und jeden Gläubigen zu kämpfen. Ich konnte mit Hannes Lorenz, Markus Brunner und Christian Preitschaft sprechen und jede auch so unangenehme Frage zur Kirche loswerden – ich habe mich von ihnen ernst genommen gefühlt.

Mir persönlich geht das aber alles zu langsam mit der Öffnung und Veränderung: Ich möchte Priesterinnen in den Kirchen sehen und will, dass schwule Ärzte in katholischen Krankenhäusern arbeiten können, ohne sich auch nur die kleinsten Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen zu müssen. Ob mir irgendwann der Geduldsfaden reißt und ich dem Trend in meinem Bekanntenkreis folge? Ich kann es aktuell nicht sagen.

Mir war es an dieser Wallfahrt wichtig, in den Dialog zu treten. Und neben all der Kritik, die ich äußere, auch mal zuzuhören. Denn auch das liegt derzeit im Trend. "Endlich reden wir miteinander, und zwar auf Augenhöhe. Dass es Reformen braucht, ist absolut unstrittig. Wir diskutieren seit 50 Jahren dieselben Fragen ohne Antworten zu geben", sagt Nabburgs Pfarrer Hannes Lorenz.

Bildergalerie
Weiden in der Oberpfalz04.06.2022
Regensburg05.06.2022
Hintergrund:

Das steckt hinter den Fachbegriffen im Text:

  • Der Synodale Weg: Nach der Veröffentlichung der MHG-Studie „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ und den damit verbundenen Erschütterungen ist vielen Verantwortlichen deutlich geworden: Die Kirche in Deutschland braucht einen Weg der Umkehr und Erneuerung. Aus diesem Anlass haben die deutschen Bischöfe im März 2019 einen Synodalen Weg beschlossen, der der gemeinsamen Suche nach Antworten auf die gegenwärtige Situation dient und nach Schritten zur Stärkung des christlichen Zeugnisses fragt.
  • Maria 2.0: eine von Frauen in der römisch-katholischen Kirche in Deutschland ausgehende Initiative. In einer Online-Petition mit einem offenen Brief an Papst Franziskus forderte sie Zugang für Frauen zu allen kirchlichen Ämtern, die Aufhebung des Pflichtzölibats und eine umfassende Aufklärung von Missbrauchsfällen in der Kirche.
  • Das Münchener Missbrauchsgutachten: Ist ein von der römisch-katholischen Erzdiözese München und Freising in Auftrag gegebenes Gutachten. Das Gutachten zum Missbrauch im Erzbistum München belastet hochrangige Kirchenfunktionäre schwer, darunter auch den emeritierten Papst Benedikt und Kardinal Reinhard Marx.
 
 

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