Sulzbach-Rosenberg
15.10.2023 - 15:08 Uhr

Schriftstellerin Lindita Arapi zu Gast im Literaturhaus Oberpfalz

Im Würgegriff des patriarchalischen Umfelds suchen zwei Schwestern ihren eigenen Weg ins Leben. Lindita Arapi stellt diese albanische Geschichte im Literaturhaus Oberpfalz vor – und stößt ein Fenster auf zum ehemaligen "Nordkorea Europas".

Schriftstellerin Lindita Arapi liest am Freitag, 27. Oktober im Literaturhaus Oberpfalz in Sulzbach-Rosenberg aus ihrem Roman "Albanische Schwestern". Bild: Stephan Boltz/exb
Schriftstellerin Lindita Arapi liest am Freitag, 27. Oktober im Literaturhaus Oberpfalz in Sulzbach-Rosenberg aus ihrem Roman "Albanische Schwestern".

Aufgewachsen im kargen Teil des damals noch unter der Knute einer kommunistischen Diktatur vegetierenden Albaniens schafft die jüngere, nie aufmuckende Schwester Alba den Absprung nach Österreich. Dort fehlt es ihr oberflächlich betrachtet an nichts, nur mit dem wirklichen Ankommen will es nicht klappen. Erst in der Rückkehr findet Alba vorübergehend Ruhe, schreibt Lindita Arapi auf Nachfrage von Oberpfalz-Medien. Der großen Schwester Pranvera dagegen, einst unbeugsame Rebellin, werden auf brutale Art die Flügel gestutzt. Ihr bleibt nichts als "ein Pakt mit dem Leben im Land, wie so oft".

Am Beispiel der beiden Schwestern rückt Lindita Arapi, eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen Albaniens, ins Brennglas, was ihr Heimatland auch lange nach der Öffnung noch maßgeblich bestimmt: Eine strikt patriarchalische Grundordnung. "Albanien ist dazu von einem muslimischen Lebensmodell geprägt, das den Frauen viele Regeln vorschreibt – obwohl viele Albaner ein offenes Verständnis von Religion hegen."

Nicht nur Schwarz-Weiß-Malerei

Und trotzdem – Lindita Arapi mag sich nicht mit bloßer Schwarz-Weiß-Malerei begnügen. Sie legt Wert auf Differenzierung, sowohl was die Frauen in Albanien als auch die gesellschaftliche Ausrichtung betrifft. Bei Ersterem gebe es ein großes Stadt-Land-Gefälle: "Wenn man sich in Tirana (Hauptstadt Albaniens, Anmerk. d. Red.) umsieht, begegnen einem offene junge Leute, selbstbewusste Frauen, die ihre Freiheit auf den Straßen, auf Instagram oder anderswo ausleben."

Das sei allerdings nicht die ganze Wahrheit: "Junge Frauen müssen einem bestimmtem Bild entsprechen, wenn sie "den Auserwählten" bekommen sollen. Das Bild einer Frau, die für die Bedürfnisse aller, nicht nur des Mannes da ist, ist stark präsent." Mangels eigener Mittel und Möglichkeiten, etwas im Leben zu erreichen, würden sie oft zu Opfern und Mitwirkenden beim "Gütertausch" der Männer mit Geld und Macht, weiß die Schriftstellerin. Auf dem Land sähe es noch brutaler aus: "Es herrschen andere Regeln in Familien mit weniger Bildung, oder dort, wo die Männer stark an ihrer Herrscherrolle festhalten."

Frauen als Teil des Patriarchats

Lindita Arapi erinnert aber auch daran, dass Mädchen es in einer solchen Gesellschaft zwar schwer hatten und haben, als Ehefrauen aber erlangten sie eine gewisse Macht, "als Mütter, Kindererzieherinnen und zum großen Teil Haushaltsführerinnen". Als Großmütter schließlich wurden sie verehrt und trugen nicht selten dazu bei, dass diese Muster fortwirkten. "Man muss das Patriarchat nicht als ein Unheil sehen, das über Frauen hereinbrach und in dem Männer mit dem Knüppel an der Tür warteten – die Fälle direkter Gewalt gegenüber Frauen ausgenommen. Frauen waren ein Teil davon, aus unterschiedlichsten Gründen."

Der Roman basiere im Übrigen nicht auf eigener realer Lebenserfahrung. Das strenge Regiment des albanischen Lebensmodells hat Lindita Arapi jedoch am eigenen Leib erlebt: "Rebellion war uns als Generation in den 1980-ern nicht erlaubt. Das Wort gehörte nicht mal in unseren Wortschatz. Nicht nur die kommunistische Diktatur verbot es. Es gab in vielen Familien eine zweite Diktatur, die der strengen Eltern, die wachsam über das Leben der Mädchen wachten, damit sie sich ja keinen Fehler erlaubten. Ich bin unter dem ungeheuren Druck groß geworden, dass Fehler etwas sehr Schlimmes sind."

Die Tatsache, dass ihre Familie beim Regime in Ungnade gefallen war, trug ihr Übriges bei. Der Großvater wurde wegen "Kollaboration mit den Widersachern des Systems" ohne Gerichtsprozess einfach exekutiert, Lindita Arapi durfte trotz exzellenten Abiturs nicht studieren. Die Phase nach dem Sturz der Diktatur empfand sie als Zeit der Orientierungslosigkeit: "Als die Wende kam, waren viele begeistert. Eine naive Begeisterung, dass sich nun alles zum Guten wenden wird. Ich war mehr verwirrt als begeistert. Ich fragte mich damals, wie könnten über Nacht diejenigen, die dem System treu gedient hatten, plötzlich zu Demokraten mutieren." Da in Albanien die Wende von einer Kontinuität der Eliten begleitet war, sei es sehr schwierig gewesen, eine ehrliche und transparente Aufarbeitung der Diktatur zu bewerkstelligen.

Dass "das einstige Nordkorea Europas", mittlerweile immer mehr ins Licht der europäischen Aufmerksamkeit rückt, sei Balsam für die Seele der Albaner. Korruption, mangelnde Justiz und ein sehr schlechtes Gesundheitssystem trieben jedoch immer noch viele, vor allem besser Qualifizierte ins Ausland, sagt Lindita Arapi.

Auch sie selbst lebt mittlerweile in Deutschland, bleibt aber ihrer Heimat verbunden. Dass sich viele albanische Leserinnen mit ihren Protagonistinnen identifizieren können, berühre sie sehr. In Deutschland dagegen wecken ihre Lesungen eher die Neugier auf Albanien. Hier höre sie mehr, dass diese Geschichten helfen, das Land näher zu bringen und zu verstehen.

HINTERGRUND:

Zu Person, Buch und Veranstaltung

  • Lindita Arapi, promovierte Schriftstellerin, Journalistin und Übersetzerin, geboren 1972 in Lushnja/Albanien, in mehrere Sprachen übersetzte Lyrikerin, Roman-Debüt "Das Schlüsselmädchen", übertrug u.a. Werke von Günter Grass, Joseph Roth und Elias Canetti ins Albanische. Lindita Arapi lebt in Bonn.
  • Albanische Schwestern, Roman, aus dem Albanischen von Florian Kienzle, 240 Seiten, Broschur, Weidle Verlag, 25 Euro
  • Lesung am Freitag, 27. Oktober um 19 Uhr im Literaturhaus Oberpfalz in Sulzbach-Rosenberg, Moderation Dr. Heribert Tommek, Tickets unter www.nt-ticket.de
 
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