125 Jahre Stadtwerke Tirschenreuth: Herausforderungen der Zukunft aktiv angehen

Tirschenreuth
15.09.2023 - 10:28 Uhr
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Die Entstehung der Stadtwerke Tirschenreuth reicht zurück bis 1898. Seither ist viel passiert. An sonnigen Tagen ist die Stadt heute schon energieautark. Welche Herausforderungen künftig anstehen, berichtet Stadtwerke-Leiter Thomas Kraus.

Angefangen hat alles mit dem Strom. Im April 1898, vor 125 Jahren, beschloss der damalige Tirschenreuther Magistrat, ein Werk mit dem Namen „Städtisches Elektrizitätswerk Tirschenreuth“ zu errichten. Seither wurde das städtische Ortsnetz permanent ausgebaut, Neubaugebiete wurden erschlossen, Trafostationen hinzu gebaut und erneuert. Die öffentliche Wasserversorgung der Stadt wurde bereits vor dem 19. Jahrhundert errichtet. 1894, vier Jahre vor dem Bau des Elektrizitätswerks, wurde in Tirschenreuth eine zentrale Wasserversorgung eingerichtet.

Intelligente Lösungen und Speicher

Bis 2015 nahm der Betrieb der Stadtwerke relativ ruhig seinen Lauf. "Dann kamen die ,wilden Jahre'", erzählt Thomas Kraus, der seit 2017 Leiter der Stadtwerke Tirschenreuth ist. "Die Taktung und Schlagzahl von Aufgaben und neuen gesetzlichen Vorgaben hat seither enorm zugenommen", betont der 56-jährige Maschinenbau-Ingenieur aus Altenstadt/WN.

Ein besonderer Einschnitt sei zudem die Strompreisexplosion im Jahr 2022 gewesen. "Das hat alles komplett auf den Kopf gestellt." In dieser Zeit gab es viele Kundenbewegungen hin, aber auch weg von den Stadtwerken. Aktuell gehe der Strompreis wieder zurück, allerdings seien die Kosten noch nicht wieder auf dem Niveau wie vor dem Ukraine-Krieg.

Auch die Energiewende sei eine enorme Herausforderung. Er ist sich sicher, dass sich das System damit völlig verändern wird. "Der Fluss der Energie ändert sich stündlich, das ist hochgradig spannend." Wo früher jeder Haushalt Strom vom Netzbetreiber bezogen hat, haben heute viele Leute mit PV-Anlagen ihre eigene Stromerzeugung. Je nach Wetter speisen sie selbst ins Netz oder beziehen Strom. Sonne, Wolken, Regen: Das ist schon auf wenige Kilometer häufig von Ort zu Ort unterschiedlich. Wo im Stromnetz früher Angebot und Nachfrage im Gleichgewicht waren, variiert dies aktuell oft stark. Das Netz sei für diese Bewegungen noch nicht ausreichend ausgelegt. "Wir brauchen intelligente Systeme, die erkennen, wo beispielsweise ein Überangebot herrscht und den Strom dorthin verteilen, wo er gebraucht wird." Dieses Lenken sei nicht mehr manuell machbar. Und: "Der Ausbau an erneuerbaren Energien ist schön und gut, aber es müssen deutschlandweit vor allem Speichermöglichkeiten geschaffen werden, um das kurzfristige Überangebot an Strom abzupuffern", betont Kraus.

An Sommertagen energieautrark

Im Bereich der Stadtwerke sind mittlerweile Photovoltaikanlagen mit einer Gesamtleistung von 6 Megawatt installiert. Kraus berichtet von einer maximalen Bezugsleistung der Stadtwerke vom vorgelagerten Bayernwerk-Netz von 7,1 Megawatt. "Es gibt Wochenenden, an denen Hausbesitzer mehr Strom ins Netz einspeisen, als in ganz Tirschenreuth gebraucht wird - meistens an sonnigen Tagen im Juni oder Juli." Das bedeutet, dass die Stadt Tirschenreuth heute schon an manchen Tagen energieautark ist. "Und der Ausbau geht weiter", sagt der Stadtwerke-Leiter. Bereits im ersten Halbjahr dieses Jahres wurden mehr PV-Anlagen installiert, als im gesamten vergangenen Jahr. Heuer werden laut Kraus vermutlich 90 bis 100 neue PV-Anlagen im Stromnetz der Stadtwerke errichtet. Die meisten Anlagen installieren Privatleute, aber auch Firmen bauen sich Photovoltaik aufs Dach.

98 Quellen eine Seltenheit

Von einigen Besonderheiten berichtet Kraus in Sachen Wasser: Dafür greifen die Stadtwerke auf 98 Quellen sowie einen Tiefbrunnen zurück. "Das ist in Tirschenreuth definitiv eine Besonderheit", schildert der Stadtwerke-Leiter. Dass die Quellen überwiegend in Waldgebieten liegen, habe den Vorteil, dass das Wasser nicht durch Nitrat oder Phosphat von landwirtschaftlichen Feldern belastet ist. "Der Nitratgehalt im Tirschenreuther Wasser ist sehr niedrig. Wo andere Anbieter aktiv werden müssen, müssen wir gar nichts unternehmen." Das Wasser sei sehr "weich" und wenig kalkhaltig. Eine weitere Besonderheit sei, dass alle Quellen im freien Gefälle von selbst in die Aufbereitungsanlagen und Hochbehälter fließen. "Wir brauchen bis auf wenige Verbindungsleitungen nichts pumpen", sagt Kraus. "Ich bewundere, wie die Arbeiter vor über 100 Jahren funktionierende Leitungen ohne GPS und die heutige Technik gebaut haben." Bei der Erneuerung der Leitungen würden die früheren Trassen wieder benutzt, eben weil sie funktionieren. Im Stadtgebiet werden seit 2016 nach und nach die Wasserleitungen, die teilweise aus dem Jahre 1894 stammen, erneuert.

Trotz der geringen Niederschläge in den extrem trockenen Jahren 2018, 2019 und 2021 konnten die Stadtwerke den Wasserbedarf gut abdecken. "Den Trinkwasserbrunnen brauchen wir nur selten." Allerdings wollen sich die Stadtwerke für die Zukunft rüsten. Es gibt Pläne, etwa einen zweiten Trinkwasserbrunnen zu bauen, um die Versorgung weiter abzusichern. Auch Verbundlösungen oder den Anschluss an andere Wasserversorger könnte man sich vorstellen, merkt Kraus an.

Sorgenkind Freibad

Sorgen bereitet das 50 Jahre alte Freibad, das seit 1994 zu den Stadtwerken gehört. Personalmangel und Probleme mit der Technik machen dem Betrieb zu einem Spießrutenlauf. Im Juli 2022 beschloss der Stadtrat, eine Sanierung anzuvisieren und eine Feinplanung durchzuführen. Aktuell wird in Workshops neben Sanierungsumfang und -aufwand auch ein Finanzierungskonzept ermittelt.

Nahwärme und Stromerzeugung

Als neue potenzielle Geschäftsfelder streben die Verantwortlichen der Stadtwerke eine eigene Stromerzeugung an. Vorstellbar seien Freiflächen-Photovoltaikanlagen oder Windkraft, jeweils mit oder ohne Bürgerbeteiligung. Die eigene Energieerzeugung sei auch von politischer Seite gewünscht.

Zum Thema Wärme meint Kraus: "Da werden wir eine gewaltige Rolle mitspielen müssen." Wärmeplanung sei auch eine kommunale Verpflichtung. In welcher Form kann Kraus noch nicht konkret beantworten. Erste Überlegungen gehen in Richtung Nahwärmenetz. Komplett neu sei das Thema für die Stadtwerke aber nicht. "Wir versorgen kommunale Abnahmestellen mit Wärme", berichtet der Stadtwerke-Leiter und listet etwa Grund- und Mittelschule sowie das Kettelerhaus auf. "Das Thema bekommt aber eine andere Struktur und eine völlig neue Dimension", erklärt er. Zu den kommenden Projekten gehört auch der Neubau eines Stadtwerke-Standorts. Das derzeitige Gebäude entspreche nicht den Standarts eines modernen Arbeitsplatzes. "Das gehört zu meinen persönlichen Zielen, die ich als Stadtwerke-Leiter noch miterleben möchte", macht Kraus deutlich. In den kommenden zehn Jahren will er in Sachen Stromerzeugung etwas Größeres auf die Füße gestellt haben, den Stadtwerke-Neubau abgeschlossen und das Thema Freibad gelöst haben.

Abschließend betont Kraus: „Unsere großen Stärken sind unsere Mitarbeiter und unsere Verlässlichkeit.“ Man sei für die Kunden vor Ort ansprechbar. „Das kann uns kein Mitbewerber wegnehmen.“ Der persönliche Kontakt sei der größte Vorteil, stellt der Leiter das Motto der Stadtwerke als „Fairsorger“ in den Mittelpunkt. Dies ist auch Bürgermeister Franz Stahl wichtig zu betonen: Die Stadtwerke seien zwar ein gewinnorientiertes kommunales Unternehmen, aber man habe den Blick immer auf die Menschen und deren bestmögliche Versorgung. „Die Stadtwerke haben die vergangenen 125 Jahre mit verschiedenen Unwägbarkeiten wie zuletzt Corona und die Energiekrise gemeistert.“ Besonders positiv sei, dass bei der Ausrichtung auf die Zukunft auch neue Betriebszweige bedacht werden.

Hintergrund:

Zahlen und Fakten zu den Stadtwerken

  • 194 Kilometer Stromnetz mit 4.952 Stromzählern und 60 Trafostationen
  • 34 Millionen kWh fließen jährlich durch die Leitungen
  • Durch Photovoltaik-Anlagen, Blockheizkraftwerke, Brennstoffzellen und Wasserkraft werden in der Stadt aktuell jährlich etwa 3,3 Millionen kWh Strom erzeugt
  • 98 Wasserquellen
  • 217 Kilometer Wasserleitungsnetz mit 2.858 Wasserzählern
  • 647.230 Kubikmeter Wasser werden pro Jahr abgegeben
  • 28 Mitarbeiter
 
 

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