Tirschenreuth
12.11.2025 - 12:42 Uhr

Erinnern gegen Antisemitismus: Lesung von Dorothea Woiczechowski-Fried in Tirschenreuth

Dorothea Woiczechowski-Fried erzählt in einer Lesung im Stiftland-Gymnasium aus dem Leben ihres verstorbenen Mannes, einem Überlebenden der Nazi-Konzentrationslager. Mit ihrer Arbeit setzt sie sich gegen das Vergessen ein.

Die Pogromnacht vom 9. November 1938 „beförderte den Antisemitismus in Deutschland ganz unverhohlen öffentlich in eine nie dagewesene Dimension der Radikalisierung und Brutalität und gipfelte nach der gezielten Verfolgung zuletzt in der massenhaften Ermordung von Juden“, so die Ankündigung zur Lesung von Dorothea Woiczechowski-Fried, überschrieben mit dem Titel „Leben und Überleben“. Die Texte dazu stammten aus einem Gespräch ihres Mannes mit dem Filmemacher Martin Gressmann.

Angelika Schraml von der Volkshochschule Tirschenreuth hatte zusammen mit Matthias Weiser, dem Schulleiter des Stiftland-Gymnasiums, und Annette Kallmeier, Fachschaftsleiterin für Geschichte, Politik und Gesellschaft, den Abend im Stiftland-Gymnasium organisiert. Obwohl sie mit einem guten Besuch gerechnet hatten, waren alle Beteiligten vom großen Besucherandrang überrascht. Stefanie Heinrich (Violine) und Andreas Sagstetter (Klavier) sorgten mit ihren einfühlsamen Musikstücken wie der Titelmusik aus dem Film „Schindlers Liste“ sowie den beiden Klezmer-Stücken „Ose Shalom“ und „Hava Nagila“ für eine stimmige Atmosphäre.

Für Dorothea Woiczechowski-Fried ist das Nicht-Vergessen der Shoah und der damit verbundenen Gräueltaten an jüdischen Mitmenschen ein Herzensanliegen. Sie führt nicht nur die Arbeit ihres im Dezember 2022 verstorbenen Ehemannes Alexander Fried fort, sondern kämpft auch gegen den erneut aufkeimenden Antisemitismus. Dabei nutzt sie die Erinnerungen ihres verstorbenen Mannes, der trotz seiner schlimmen Erlebnisse ein durch und durch versöhnlicher Mensch war und mit seiner positiven Einstellung immer wieder beeindruckte.

Dorothea Woiczechowski-Fried versetzte die Zuhörer mit ihren authentischen Erzählungen in eine Schreckensphase der deutschen Geschichte. Ein kurzer Überblick über die Kindheit von Alexander Fried, genannt Schani, gehörte dazu. Er wurde in Korolewo in Transkarpatien geboren, das heute zur Ukraine gehört und damals tschechoslowakisch war. Er wuchs in Sillein, Slowakei, auf, wo seine Eltern ein Restaurant betrieben. Woiczechowski-Fried zeichnete das Bild einer friedlichen und weltoffenen Kindheit.

Mit 17 Jahren kam er erstmals in ein Konzentrationslager, wurde aber wieder freigelassen und musste zwei Jahre Zwangsarbeit leisten. Im August 1944 begannen in der Slowakei die Deportationen der Juden. Frieds Mutter drängte ihn und seinen Bruder zur Flucht. Sie selbst war krank und blieb zurück. Beide Söhne flüchteten, doch Alexander Fried machte sich Vorwürfe, seine kranke Mutter verlassen zu haben, und kehrte um. Doch seine Mutter war nicht mehr da; erst später erfuhr er von ihrem Tod in Auschwitz. Beiden Brüdern bot sich ein Versteck bei helfenden Menschen, bis sie im Dezember 1944 verraten wurden. Es folgten Haftstrafen, das Konzentrationslager Sered und im selben Monat der Transport nach Sachsenhausen.

Aus Alexander Fried wurde der Häftling Nummer 121.199. Neben schrecklichem Hunger, Demütigungen und Kälte nagte nachts die Angst an ihm. In der Nacht riefen die Aufseher Häftlingsnummern auf; die Betroffenen mussten mitgehen und wurden nie mehr gesehen. Ende April 1945 musste er mit rund 30.000 Mithäftlingen den Todesmarsch antreten. Noch schlimmerer Hunger, Angst und das Mitansehen, wie Freunde erschossen wurden – es waren furchtbare Erlebnisse. Alexander Fried überlebte, ebenso sein Bruder. Sein Vater hingegen kam im Konzentrationslager Buchenwald ums Leben.

Alexander Fried war am Leben und musste sich neu orientieren. Er studierte Medizin, Geschichte, Literatur und Sprachen. Seine Lehrtätigkeit übte er an verschiedenen Universitäten in unterschiedlichen Ländern aus. Nach seinem aktiven Berufsleben hielt er zahlreiche Vorträge gegen das Vergessen. Für dieses Engagement erhielt er 2019 das Bundesverdienstkreuz und die tschechische Masaryk-Medaille, die höchste Auszeichnung für Ausländer in Tschechien. Dorothea Woiczechowski-Fried verschweigt es meist, aber auch sie ist Trägerin der Bundesverdienstmedaille für ihr herausragendes Engagement für die Gedenk- und Erinnerungskultur in Deutschland.

Am Ende der Lesung appellierte eine Zuhörerin an die Anwesenden, sich gegen neu aufkeimenden Antisemitismus zu stellen. In den sozialen Medien breiteten sich Hass und Häme immer mehr aus. Hier müsse man gegensteuern und seine Meinung vertreten. „Für die Demokratie müssen wir kämpfen, Demokratie ist kostbar.“

Tirschenreuth13.12.2022
Tirschenreuth09.05.2025
 
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