Eine bunte Blumenwiese am Fuße des Schloßbergs bei Waldeck. Die Vögel zwitschern. Eigentlich nichts Besonderes. Erwin Möhrlein steht am Rand der kleinen Hangwiese und schaut abwechselnd auf die Karte in seinen Händen und auf die Felder, Teiche, Straßen und Wälder um ihn herum. Ja, nickt er, ja, das hier ist eine der Wiesen, die auf seiner Liste steht. Genauer gesagt: auf seiner Monitoring-Liste.
„Monitoring bedeutet, dass ich aufschreibe, welche seltenen Pflanzen in welcher Menge auf einer bestimmten Fläche vorkommen. Das kann eine ganze Wiese sein, aber auch nur ein kleines Areal von wenigen Quadratmetern“, sagt Möhrlein, der mit Gummistiefeln und Klemmbrett am Rand der eher unscheinbaren Blumenwiese steht und heute im Auftrag des Landschaftspflegeverbandes unterwegs ist. Der Tirschenreuther ist auch Beauftragter für das Artenhilfsprogramm und Naturschutzwächter im Landkreis Tirschenreuth.
Davalls-Segge eine Kostbarkeit
„Wenn eine Fläche ganz neu hinzukommt, wird der Pflanzenbestand von Grund auf erfasst.“ Anders sei es, wenn Biotope bereits das erste Monitoring hinter sich hätten. In diesem Fall werde in regelmäßigen Abständen – üblicherweise alle zwei bis fünf Jahre – vor allem überprüft, wie sich die Bestände entwickeln: Um das herauszufinden, nimmt Möhrlein die beim letzten Monitoring ausgefüllte Liste zur Hand und vergleicht. Zum Beispiel beim Moorlöwenzahn: Sind die 40 Pflanzen, die bei der letzten Kontrolle im hinteren Bereich der Wiese gezählt wurden noch da? Sind es mehr geworden? Oder weniger? Oder sind sie inzwischen vielleicht sogar komplett verschwunden?
Erfahrungsgemäß fallen die Antworten je nach Pflanzenart sehr unterschiedlich aus. Denn natürlich, so weiß Möhrlein, gebe es Standorte, an denen sich bestimmte Arten besonders wohlfühlen, und der Bestand mit den Jahren zunimmt. Aber oft sei leider auch eine Entwicklung in die andere Richtung zu beobachten. Ein Beispiel dafür ist die Davalls-Segge, ein Sauergrasgewächs und gleichzeitig auch eine Rote-Liste-Art: „Sie wächst im Tiefenbachtal und ist eine kleine Kostbarkeit. Bisher gab es im Landkreis Tirschenreuth um die 30 Standorte. Innerhalb von wenigen Jahren haben wir zehn verloren. Drei davon befanden sich am Schloßberg und am Kuhberg bei Waldeck. Grund für das Verschwinden war die zunehmende Trockenheit.“
Farbenprächtige Orchideenart
Doch nur manchmal gibt es einleuchtende Gründe dafür, warum eine bestimmte Pflanzenart am Standort verschwindet: Wassermangel, Verbuschung, Überdüngung aus umliegenden Nutzflächen, Verdichtung der Vegetation und damit fehlende offene Bodenstellen als Keimbett für die Samen. Häufig gebe es aber auch keine offensichtlichen Gründe für den Verlust einer Pflanzenart.
Die Wiese, die Erwin Möhrlein gerade systematisch durchkämmt und dabei konzentriert nach bestimmten Bewohnern Ausschau hält, ist bereits seit über zehn Jahren im Monitoring-Programm, „eine alte Bekannte“ sozusagen. Und den letzten Aufzeichnungen zufolge hat sie auch einiges zu bieten: Zum Beispiel das Mannsknabenkraut, eine farbenprächtige Orchideenart. Oder das Waldläusekraut, die Bachnelkenwurz und den Steinbrech.
Das Beeindruckende daran: Nicht weit entfernt liegt ein weiteres Biotop, eine kleine Moorfläche. Sie steht als nächstes auf der Liste, kommt also gleich nach der Waldwiese „dran“ und wartet mit völlig anderen Raritäten auf: im feuchten, sauren Boden fühlen sich Pflanzen wie der Sumpfdreizack, die Davalls-Segge, die Schwarzwurzel, der Teufelsabbiss oder das Stresemanngras zu Hause.
"Hotspot der Biodiversität"
„Der Kemnather Raum ist wirklich ein Hotspot der Biodiversität. Man ist sozusagen umzingelt von botanischen Seltenheiten“, sagt Möhrlein mit unverhohlener Begeisterung und erzählt, welche Biotope im Anschluss an die Hangwiese auf seinem Monitoring-Plan stehen: das Schweißenreuther Moor, ein kleiner Heidesaum bei Zwergau, die Guttenberger Moorwiese, weitere Waldwiesen am Armesberg, sowie ein kleines Feuchtbiotop im Tiefenbachtal. Alles Flächen übrigens, die vom landwirtschaftlichen Ertrag her eher unrentabel – die Feuchtwiese galt gemeinhin als „saures Loch“ – und heute für das Artenschutzprogramm von großem Wert sind.
Möhrlein erklärt auch, warum Staudenlupinen entfernt werden. Die Pflanze gehört zur Familie der Hülsenfrüchte. Durch die Knöllchenbakterien an der Wurzel ist sie in der Lage, Luftstickstoff zu binden. Dadurch wird der Boden gedüngt, er wird fruchtbarer. Die Folge: die typische Vegetation der Magerwiesen verschwindet nach und nach. Um dies zu verhindern, werden die blaublühenden Stauden der Lupine regelmäßig entfernt, weiß der Fachmann.
Doch warum eigentlich der ganze Aufwand mit dem Monitoring? „Zuallererst hilft das Monitoring, ganz allgemein einen Überblick über Anzahl und Standort seltener Pflanzen zu gewinnen“, sagt Möhrlein. Dann natürlich auch, um zu verhindern, „dass einem die Arten zum Beispiel durch die geringeren Niederschläge unbemerkt „wegbrechen“ und ganze Wiesen-Lebensgemeinschaften verschwinden.
Möhrlein hat inzwischen seinen Rundgang beendet. Er setzt auf seine Liste noch ein paar Häkchen, trägt verschiedene Zahlen nach und wirft einen letzten Blick zurück auf die unscheinbare, kleine Hangwiese. Die Vögel zwitschern. Eine bunte Blumenwiese am Fuße des Schloßbergs: Wirklich etwas ganz Besonderes.
Was steckt hinter dem Artenhilfsprogramm Flora?
- Artenhilfsprogramm Flora der Regierung der Oberpfalz: Seit über 20 Jahren arbeiten Pflanzenspezialisten, Landschaftspflegeverbände, Landwirte und die Naturschutzbehörden daran, besonders seltene und gefährdete Pflanzenarten in ihrem Bestand zu erhalten.
- Im Fokus stehen Farn- und Blütenpflanzen der Bayerischen Roten Liste (RL), für deren Erhalt Bayern bzw. die Oberpfalz eine hohe Verantwortung hat.
- Besonderes Augenmerk gilt den Endemiten, das sind Pflanzenarten, deren Areal weltweit auf Bayern oder sogar nur auf die Oberpfalz beschränkt ist.
- Grundlage des AHP Flora ist eine genaue, zum Teil jährlich stattfindende, Kontrolle der noch vorhandenen Wuchsorte: das Monitoring.
- Darauf aufbauend werden Maßnahmen zum Schutz und Erhalt der jeweiligen Art und ihres Lebensraums erarbeitet und durchgeführt.
„Der Kemnather Raum ist wirklich ein Hotspot der Biodiversität. Man ist sozusagen umzingelt von botanischen Seltenheiten.“
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