"Denkwelt" bereitet Kopfzerbrechen: Stadt Weiden im Clinch mit Gesellschaftern

Weiden in der Oberpfalz
23.02.2022 - 10:38 Uhr
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Ist das größte Weidener "Leuchtturmprojekt" in Gefahr? Bei der Vorbereitung des Bauverfahrens gibt es erhebliche Differenzen zwischen Stadt und Vorhabenträgern. Die Stadträte zeigen sich entsetzt.

Haben die futuristischen Türme der "Denkwelt Oberpfalz" bei Halmesricht noch eine Zukunft? In der Gegenwart läuft's nicht gerade rund.

Das "Leuchtturmprojekt" soll mindestens bayerweit ausstrahlen, im Moment jedoch sieht es zappenduster aus: Auf dem Weg zur "Denkwelt Oberpfalz" bei Halmesricht, einem Zentrum der Digitalisierung für Wirtschaft und Wissenschaft, geht es nur zäh voran – diesen Eindruck vermittelte die Stadtratssitzung vom Montag. Eigentlich wollten Oberbürgermeister und Stadträte ein politisches Zeichen setzen, abermals ein klares öffentliches Bekenntnis zum ehrgeizigen Vorhaben abgeben, das seit 2017 aufs Gleis gesetzt ist. Doch dann trat Stadtbau-Chef Günther Kamm ans Mikrofon, um als Vorsitzender der Entwicklungsgesellschaft GDH den aktuellen Stand zu schildern. Das gipfelte im frustrierten Bekenntnis: "Ich bin mit meinem Latein ein wenig am Ende." Das Entsetzen der Stadträte war fast mit Händen zu greifen.

Wie in der Diskussion zutage trat, war der Fortgang bereits im vergangenen Jahr erheblich ins Stocken geraten. Demnach haben die Luce-Stiftung (Lars und Christian Engel, BHS Corrugated Weiherhammer) und das Bauamt der Stadt Weiden völlig unterschiedliche Vorstellungen, was jeweils der andere im Verfahren hin zum Baurecht zu leisten hat. Konkret soll es aktuell darum gehen, was der vorhabenbezogene Bebauungsplan beinhalten soll. Luce will hier nur das erste von im Endausbau drei Gebäuden beschreiben, die Stadt dagegen soll detaillierte Pläne für das gesamte Areal verlangen. Kamm schilderte die Meinung der GDH-Mehrheitsgesellschafter: "Die Anforderungen, was die Vorarbeiten betrifft, werden ins Maximum getrieben, im Wissen, dass sie nicht zu erfüllen sind."

"Nach wie vor Differenzen"

"Es kostet eine Menge Kraft, zwischen den einen und den anderen Positionen zu vermitteln", bekannte der Stadtbau-Chef. "Es macht im Moment keinen Spaß. Die Stadt müsste sich bewegen. Die Mitgesellschafter müssten sich bewegen. Aber das tun sie im Moment nicht so ganz." 2019 hatte der damalige Oberbürgermeister Kurt Seggewiß den Projektträgern versichert, die Stadt werde die planungsrechtlichen Vorgaben ("Bauleitplanung, Änderung der Flächennutzungsplanes, neuer Bebauungsplan") rechtzeitig schaffen –und auch eine kreative Erschließung ermöglichen. Eine enge Zusammenarbeit wurde vereinbart.

Nach Ansicht von SPD-Fraktionschef Roland Richter war zuletzt eines der "Hauptprobleme", dass zwischen Stadt und Gesellschaft unklar gewesen sei: "Wer geht den nächsten Schritt?" Dabei sei unstrittig, dass der Vorhabenträger den vorhabenbezogenen Bebauungsplan auf den Weg bringen müsse. Laut Kamm ist es der Inhalt, zu dem es "nach wie vor Differenzen" gebe. Baudezernent Oliver Seidel verdeutlichte die Position der Stadt: "Der erste Bauabschnitt darf die Zukunft nicht verbauen." Deshalb brauche es eine genauere Beschreibung auch der weiteren Pläne. "Die Vision muss mit Funktionalität hinterlegt werden."

Die Vision von der "Denkwelt" allerdings sehen nun viele Stadträte in Gefahr. "Dieses Projekt darf nicht schiefgehen", mahnte Hans Blum (CSU). "Da machen wir uns lächerlich." Schließlich soll auch nach Ansicht Richters die "Denkwelt" das schaffen, was das geplatzte Gewerbegebiet West IV nicht mehr leisten kann: "zukunftsfähige Arbeitsplätze nach Weiden bringen". Im Endausbau sollen in den futuristischen Türmen 400 Beschäftigte arbeiten. Wolfgang Pausch (CSU) richtete die dringende Bitte an die Verwaltung, "das Projekt nicht nur zu begleiten, sondern es positiv zu begleiten". Er forderte einen Runden Tisch mit allen Beteiligten. Aber auch die Gesellschafter untereinander seien ja unterschiedlicher Meinung, erklärte Oberbürgermeister Jens Meyer. Neben Luce und Stadtbau zählt die OTH Amberg-Weiden zu diesem Kreis. Meyer: "Hauptgesellschafter ist nicht die Stadtbau ..."

Appell an Oberbürgermeister

Christian Deglmann und Stefan Rank von der Bürgerliste nahmen den OB persönlich ins Gebet. Der soll die "Denkwelt" zur Chefsache erklären, forderte Rank. "Wir können es uns nicht leisten, nach West IV noch ein Leuchtturmprojekt zu verlieren", warnte Rank. Meyer müsse "das im Sinken befindliche Schiff wieder auf Kurs bringen", sagte Deglmann. Eine "Gretchenfrage" an die Hauptgesellschafter stellte dagegen Gerald Bolleininger (SPD): "Haben sie überhaupt noch Interesse, die Denkwelt aufzubauen oder nicht?" Vielleicht sei es vornehmlich darum gegangen, die "Ranch" (das Pferdegestüt in der Nachbarschaft) zu errichten.

Dieser Vermutung seines Parteifreunds widersprach OB Meyer entschieden – dabei klang es bei Gisela Helgath (DÖW) ganz ähnlich: "Ich bin froh, wenn dort hochwertige Arbeitsplätze entstehen, nicht nur solche für Stallknechte und Stallmädla." SPD-Mann Richter warf für seinen Appell an die Verwaltung das ganze Gewicht Weidens in die Waagschale: "Eine riesige politische Mehrheit erwartet, dass wir hier vorankommen – von beiden Seiten. Wir vertreten im Stadtrat die Bürger, wir sprechen für 42.000 Menschen."

Einstimmiger Grundsatzbeschluss

Daher fasste das Gremium auch einen einstimmigen Grundsatzbeschluss. Der zentrale Satz lautet: "Die Entwicklung einer Denkwelt auf dem Gebiet der Stadt Weiden entspricht weiterhin den entwicklungspolitischen Bestrebungen der Stadt Weiden." Ferner heißt es, dass die Fachstellen den Vorhabenträger bei der Erarbeitung eines Vorhaben- und Erschließungsplans für den ersten Ausbauschritt und der Rahmenplanung für das gesamte Areal "aktiv begleiten". Baudezernent Seidel hatte sogar eine gute aktuelle Nachricht: Aus landesplanerischer Sicht stehe der baulichen Entwicklung des Standorts Halmesricht nichts entgegen, die Anbindung sei jetzt geklärt. Wenigstens ein weiterer kleiner Schritt hin zur Denkwelt.

Als Moderator trat Bürgermeister Lothar Höher auf. "Beide Seiten wollen eine Lösung, aber die Meinung in verschiedenen Punkten geht auseinander", sagte er. Die jüngsten Gespräche zwischen Verwaltung und Gesellschaftern habe er als gut empfunden, sie sollten nun in Ruhe weitergeführt werden. Gleichzeitig äußerte Höher Verständnis für Kamm: "Wenn er frustriert ist, verstehe ich das. Er begleitet das so viele Jahre, aber für so ein Projekt braucht man Geduld." Ob diese alle Beteiligten aufbringen? Dem Vernehmen nach könnten sich Zeitfenster für Fördergeld schließen. Das erste Denkwelt-Gebäude sollte ursprünglich im Jahr 2024 den Betrieb aufnehmen. Dieser Eröffnungstermin dürfte mittlerweile nicht mehr zu halten sein.

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Hintergrund:

Denkwelt Oberpfalz in Halmesricht

  • Zentrum der Digitalisierung für Wirtschaft und Wissenschaft
  • Erste Stufe: Turm mit bis zehn Stockwerken (Geschossfläche 6000 Quadratmeter) und 120 Arbeitsplätzen. Ursprünglich geplante Eröffnung: 2024
  • Zwei weitere Türme sollen folgen. Insgesamt etwa 400 Arbeitsplätze
  • Fläche: 20 Hektar
  • Start bereits 2019 mit dem "Future Lab" in Weiherhammer, das 2024 nach Halmesricht umziehen soll
  • Weitere mögliche Standbeine: das Künstliche-Intelligenz-Zentrum für Infrastruktur, Forschung, Innovation und Ausbildung, digitales Gründerzentrum, Seniorenprojekt ALIA, Boarding-Haus zum Übernachten für Wissenschaftler von auswärts
  • Entwicklungsgesellschaft: Luce-Stiftung (Lars und Christian Engel), Stadtbau Weiden, OTH Amberg-Weiden
  • Förderung durch den Freistaat mit zunächst fünf Millionen Euro
 
 

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