Christian Doleschal und Ismail Ertug sind in verschiedenen Parteien. Im Wahlkampf zum europäischen Parlament schenken sie sich inhaltlich nichts. Aber die beiden Oberpfälzer vereint die Liebe zum gemeinsamen Europa. "Frieden", "offene Grenzen", "Neugier auf Vielfalt" sind einige Schlagworte, mit denen der CSU-Nachwuchsmann und der SPD-Europaparlamentarier ihr Engagement für die Europäische Union beschreiben. Vier Mal haben sich Doleschal und Ertug im Wahlkampf getroffen. Das fünfte Mal hat sie das Gespräch mit unserer Redaktion zusammengeführt.
"Für uns Junge, als junge Generation, ist Europa selbstverständlich", sagt der 31-jährige Doleschal, aber gerade in diesem Jahr sei zu spüren, dass dies nicht überall der Fall sei. Deshalb ist Europa für ihn eine Herzensangelegenheit, die er mit voranbringen und die 74 Jahre Frieden bewahren will. Doleschal erzählt von seinem Großvater, der aus dem Sudetenland vertrieben wurde, Für ihn eine Mahnung, wie wichtig das friedliche Zusammenleben in Europa ist. Und: Doleschal erinnert an die EU-Osterweiterung vor 15 Jahren, als junge Bayern mit tschechischen und polnischen Freunden gefeiert haben - für ihn eine Initialzündung. Mit der Erweiterung sei die Oberpfalz ins Herz Europas gerückt, wovon sie bis heute profitiere.
Neugier auf Vielfalt
Europa ist die "Neugier auf Vielfalt", sagt der 43-jährige Ertug. Dies habe ihn motiviert, sich in der europäische Politik zu engagieren. Als Sohn einer klassischen Gastarbeiterfamilie ist der Sozialdemokrat auf der Luitpoldhöhe vor Amberg aufgewachsen - ein internationales Umfeld. Der Vater habe auf der Luitpoldhütte gearbeitet, daher sei die Familie eher arbeiterlastig und damit gewerkschaftsnah. Da sei für ihn klar gewesen, wenn Politik, dann Europa, das habe ihn schon immer interessiert sagt Ertug. Im Jahr 2004 unternahm Ertug seinen ersten Anlauf, um ins Europaparlament einzuziehen. Fünf Jahre später klappte es. Seine Wiederwahl gilt als sicher, da der 43-Jährige auf Platz zehn der SPD-Liste aufgestellt wurde. Das reicht auch bei den gegenwärtigem Umfragewerten der SPD. Doleschal versucht es zum zweiten Mal nach 2014.
Als Spitzenkandidat der Oberpfälzer CSU will der 31-Jährige aus Brand (Kreis Tirschenreuth) den 72 Jahre alten Albert Deß beerben, der seit dem Jahr 2004 für den CSU-Bezirksverband im Europaparlament war und nun ausscheidet. Doch dazu muss die CSU wie im Jahr 2014 fünf Mandate erringen. Doleschal, der als Rechtsanwalt bei der Bauunternehmung Markgraf in Immenreuth arbeitet, nimmt nichts als garantiert. "Es ist keine g'mahde Wiesn". Deshalb plant er nach Ende des Wahlkampfs, für den er Urlaub genommen hat, an seinen Arbeitsplatz zurückzukehren.
"50 Prozent plus x wären wünschenswert" sagt Doleschal zur Höhe der Wahlbeteiligung, worauf Ertug Augen zwinkernd einwirft: "Des tat's als Ergebnis auch nehmen." "Tat ma a nehmen" antwortet Doleschal und fügt an: "Aber mittlerweile sind wir schon mit weniger zufrieden." Die Stimmung zwischen beiden Politikern, die sich duzen, ist gut, das wird im Gespräch deutlich. Einig sind sie sich in der Analyse, dass die Europawahl darunter leidet, dass "sie die Wahl ist, die am weitesten weg ist", wie Doleschal sagt. Immerhin seien die Parteiveranstaltungen besser besucht als vor fünf Jahren. Ertrug berichtet, dass es außerhalb der Parteitermine nicht mehr Zuspruch gebe als im Jahr 2014 ist. Damals betrug die Wahlbeteiligung bundesweit 47,1 Prozent. Europaweit lag sei bei 43,4 Prozent, in Bayern bei 40,8 Prozent sowie in der Oberpfalz bei nur 38,9 Prozent.
Themen sensibilisieren
Noch sieht Ertug keinen Grund zur Unruhe. Er verweist darauf, dass viele erst aus dem Osterurlaub zurückgekommen seien. Die Wahlentscheidung werde ohnehin erst in letzten 72 Stunden gefällt. Gewählt wird am 26. Mai. Themen wie die Flüchtlingsthematik, die Brexit-Debatte, und die Handelskriege mobilisieren nach seiner Meinung. Dies gelte gerade für die Menschen hier in Oberpfalz, deren Arbeitsplätze am Export hängen.
Bei der Frage, welche Lehren die EU aus den Krisen der vergangenen Jahre ziehen soll, setzen beide gegensätzliche Schwerpunkte. Doleschal sagt, dass diese gut gemeistert worden seien. Ertug hält dem entgegen: "Wenn alles so super Sonnenschein wäre, hätte wir nicht Entwicklungen, die wir jetzt haben." Er plädiert für einen Fonds zu einer europäischen Arbeitslosenversicherung, damit in Krisenzeiten Geld da ist, um den Menschen zu helfen und nicht nur Banken. Zudem dringt er für eine europäische Untergrenze beim Mindestlohn, damit es in der EU kein Wettrennen nach unten gibt.
Dass die Europäische Union zusammenrücken soll, will auch Doleschal. Er betont aber die Subsidiarität, die Position von CSU, wonach die Sozialpolitik nationale Kompetenz bleiben solle. In einem sind sich beide einig: Der EU-Kommissionspräsident darf nicht am Parlament vorbei aufgestellt werden, egal ob er Manfred Weber (CSU) oder Frans Timmermans (SPE) heißt. Entscheidend: Das Parlament ist die einzig direkt gewählte Institution. Es werde sich von den Staats- und Regierungschefs nichts diktieren lassen.
Für mich zählt als größtes Plus die bisherige Verhinderung von Erzfeindschaften zwischen europäischen Ländern, die mitverantwortlich für zwei Weltkriege waren. Die Austausche von jungen Menschen sind sehr gut, weil sie das Bemühen um gute Beziehungen der Länder untereinander fördern. Meines Erachtens wird aber noch zu wenig auf das Vorteilhafte der Europäischen Union geachtet. Warum hat es die EU nicht fertiggebracht, den ganzen Brexitprozess einigermaßen aufzuhalten? Wer weiß, wo noch überall an Austrittsabsichten gefeilt wird. Bei einer Fahrt durch Europa sind die Grenzen offen, aber bereits die Mauterhebungen demonstrieren der Bevölkerung die Höhepunkte moderner Kleinstaaterei und Wegelagerei. Nichts von bürgerfreundlicher Anpassung und Förderung von Bewegungsfreiheit. Auch die Verkehrszeichen und Vorschriften könnten beitragen zu Zusammengehörigkeit, aber nein. Zu den größten aktuellen Versagern und Lächerlichmachern der EU zähle ich die Emissionsstreitereien und Fahrverbote in Verbindung mit miserabelst abgestimmten Emissionen. Es ist kein Wunder, daß hiermit auch Hass auf Regierungen und EU von den Verantwortlichen selbst mobilisiert wird. Da braucht es nicht noch Feinde. Persönlich halte ich das ganze Klimawandelgedrohe für völlig unbegründet und völlig aussichtslos in bezug irgendeines Erfolges. Die Unwissenschaftlichkeit und Tricksereien sind nur noch niederschmetternd und scheinen auch der EU schweren Schaden zuzufügen, anstatt daß die EU endlich mal als Retter vor größtmöglichem Irrsinn punktet. Übrigens: Warum halten auch Sie sich z. B. in den angeschnittenen Punkten so auffallend zurück?
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