Der 1936 geborene Franz Hammer veröffentlichte 2013 seine Memoiren. Den kuriosen und schillernden Bilderbogen der Weidener Nachkriegsgeschichte bevölkern so illustre Gestalten wie Walter Klankermeier, Otto Zintl und viele Verwandte der bekannten Familie Hammer. Eine Episode geht so:
"Da es unmittelbar nach dem Krieg kein Benzin gab, kaufte sich mein Vater zwei Reitpferde, die dann in der Autogarage standen (...). Dann besuchte uns immer ein eleganter, großgewachsener Mann. Mein Vater und er ritten immer mit den Pferden aus, meist die Seufzerallee entlang. Diesen Mann hatte mein Vater im Café Weiß in der Bahnhofstraße kennengelernt. Dort trafen sich jeden Morgen die Besseren von Weiden zum Zeitunglesen und Kaffeetrinken. Erst in den neunziger Jahren erfuhr ich, wer der Mann war. In der Weidener Zeitung war ein großer Artikel mit einem Bild von Oskar Schindler. Nach Kriegsende wohnte er zirka ein halbes Jahr in Weiden bei einer Freundin. Meine Mutter und auch unsere Haushälterin, die Scharf Resi, haben den Oskar Schindler sofort auf dem Foto als diesen Reiter erkannt."
In der Tat. Es schwirren in der Stadt Gerüchte, Schindler habe kurze Zeit in Weiden in einer Art Wohngemeinschaft verbracht. Kulturamtsleiterin Petra Vorsatz kennt sie, Unterlagen oder Zeugen dazu gibt es nicht. Franz Hammer ist indes überzeugt. Da wäre zum einen die Freundin. "Ich glaube, sie hat in der Frauenrichter Straße gewohnt und schon früher im Tschechischen bei ihm gearbeitet." Durchaus möglich. Schindler war zwar zeitlebens mit seiner Emilie verheiratet, aber nie ein Kostverächter, was andere Frauen betraf. So ein Lebemann würde zu Hammers Vater passen, den der Sohn als "ersten Playboy von Weiden" in Erinnerung hat.
Abweisende Regensburger
Dann das Café Weiß, das man heute wohl als "place to be" oder VIP-Treff bezeichnen würde. In so einer Umgebung dürfte sich der Geschäftemacher Schindler wohlgefühlt haben. Schieber, Schwarzmarkthändler, jüdische Displaced Persons und US-Soldaten gehörten zur Klientel, weiß Petra Vorsatz.
Doch was wollte Schindler in Weiden, wenn er denn hier überhaupt und wirklich länger als ein paar Tage war? Die ersten Nachkriegsjahre waren keine guten für ihn und seine Familie. Aktenkundlich verbürgt ist, dass er von 1945 bis 1949 in Regensburg gelebt hat. An diese Oberpfälzer Zeit hat Emilie Schindler keine guten Erinnerungen. "Die Einheimischen sahen nicht gerne, dass Zugereiste wie wir über Nahrungsmittel verfügten, die sie in vielen Fällen nicht bekommen konnten", schreibt sie.
Dass die Schindlers einst angesehene Industrielle waren und 1200 Juden vor der Gaskammer bewahrt hatten, interessierte hier niemand. Im Gegenteil: Die sudentendeutsche Flüchtlingsfrau bekam einmal sogar aus einem Fenster "stinkende Flüssigkeit" aus einem Eimer ab. Geschäftlich kam das Paar in der Domstadt auch nicht auf die Füße. Ende 1949 emigrierte es nach Argentinien.
Dass Oskar sich zuvor auch mal in Weiden sehen ließ und auslotete, ob er dort eine Existenz aufbauen konnte, ist nicht ausgeschlossen. Merkwürdig aber, dass der in Regensburg gemiedene "Flichtling" 90 Kilometer nördlich den großen Macker im Café Weiß gegeben haben soll. Und wer war die Freundin aus der Frauenrichter Straße? Franz Hammer kann sich nicht näher an sie erinnern. "Ich war neun Jahre alt."
Mysteriöse Freundin
Handelt es sich um Gisella "Gisa" Schein, Schindlers Geliebte der frühen Nachkriegsjahre, mit der er auch zusammen war, als die Ehefrau gerade in Regensburg nach einer Fehlgeburt im Krankenhaus lag? War Gisa seine Begleiterin bei Aufenthalten in der Max-Reger-Stadt? Alles Spekulation und nicht allzu naheliegend.
Weder Schindlers Biograf David M. Crowe noch die Stuttgarter Zeitung, die über umfangreiche Dokumente aus Schindlers Nachlass verfügt, haben einen Hinweis auf Weiden. Auch dem früheren Augustinus-Lehrer Raimund A. Mader, der einen Kriminalroman über eine Schindlerjüdin in Regensburg geschrieben hat, fehlt die Verbindung. Bleibt die berühmte Liste der geretteten Zwangsarbeiter. Sie ist ein Beweis dafür, dass auch zwiespältige Charaktere wie der großspurige Fabrikant aus dem Sudentenland unter großem Risiko im richtigen Moment das Richtige tun können.
Den gleichnamigen Film, der nun überarbeitet wieder auf die Leinwände und Bildschirme kommt, werden einige junge Weidener allerdings mit anderen Augen sehen. 2012 war an der Europa-Berufsschule und dem Augustinus-Gymnasium Erika Rosenberg aus Argentinien zu Gast. Die Biographin Emilie Schindlers ist überzeugt: Frau Schindler gebührt der eigentliche Ruhm der Rettung Tausender Menschen. Das hätten Regisseur Steven Spielberg und Hollywood aber nicht hören wollen. Sie hätten sich nur auf Oskar konzentriert. Dessen Glamourfaktor sei einfach heldentauglicher.
In Regensburg lebten Oskar und Emilie Schindler in der Älten Nürnberger Straße und zuvor in der Altstadt, Am Watmarkt. Vom dortigen Domizil ist inzwischen auch als „Schindler-Haus“ die Rede. Über einen besonderen Schatz verfügt das Staatsarchiv Amberg: den Spruchkammer-Meldebogen der Schindlers. So ein Dokument mussten alle erwachsenen Deutschen nach Kriegsende ausfüllen. Der Bogen diente als Grundlage für die Entnazifizierung – oder auch nicht. Das Formular dürfte das erste amtliche Dokument sein, in dem Schindler seine Rettungsaktion erwähnte. Belegt ist auch der Versuch Oskar Schindlers, sich in der Nordoberpfalz eine Existenz aufzubauen. Wie Heimatforscher Anton Heindl zuverlässig recherchiert hat, wollte Schindler in Kemnath die einstige Lederwarenfabrik Kastner übernehmen, um dort Kartonagen für die Glas-, Porzellan- und Textilindustrie zu produzieren. Das scheiterte aber offenbar am Kapital.
Weitere Artikel zu Oskar Schindlers Spuren in der Oberpfalz
https://www.onetz.de/oberpfalz/amberg/oskar-schindlers-spur-amberg-id2615826.html
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