Er mag nicht hinschaun. „Das tut einfach brutal weh, nicht dabei zu sein.“ Martin Härtl (47) erspart sich in diesen Tagen die meisten Livebilder von den Paralympics in Peking. Denn schließlich könnte er derzeit selbst in China aktiv sein. Der Langläufer aus Friedenfels (Kreis Tirschenreuth), der mittlerweile in Weilheim in Oberbayern wohnt, ist Guide, also quasi der Streckenführer von Behinderten-Biathletin Clara Klug. Vor vier Jahren holte das Duo, bestehend aus der fast blinden Sportlerin aus München und dem gebürtigen Oberpfälzer, zwei Mal Bronze.
Dieses Mal wären die Chancen noch besser gewesen. Und das nicht nur, weil die favorisierten Russen wegen des Ukraine-Kriegs von den Paralympics ausgeschlossen wurden. In der Klasse der sehbehinderten Biathletinnen, in der Linn Kazmaier und Leonie Walter mit ihren Guides am Samstag Silber und Bronze holten, wären Medaillen wohl garantiert gewesen. „Wir haben im Sommer wirklich gut gearbeitet und uns weiterentwickelt“, sagt Härtl. Die Kommunikation auf der Strecke, auf der er Clara Klug als sogenannter Guide vorausfährt, sei verbessert worden. Es lief prächtig.
Auch weil die Strecken im Skigebiet Zhangjiakou optimal zu Clara Klug gepasst hätten. „Das sind quasi Autobahnen mit langgezogenen Kurven“, beschreibt Härtl das Gelände, auf dem vor wenigen Wochen auch die Kombinierer um Eric Frenzel oder das Langlaufteam um die Goldmädels Katharina Hennig und Victoria Carl unterwegs waren. „Ich kenne das Streckenprofil schon länger“, verrät Härtl. „Es wäre einfach ideal gewesen. Auch deshalb bricht es mir das Herz.“
Angebrochenes Handgelenk
Fünf Starts hatte das deutsche Duo geplant. Drei im Biathlon, zwei auch im Langlauf. Aber schon der Start in den Paralympics-Winter war schlecht. Bei einem Sturz beim Weltcup im kanadischen Canmore hatte sich die 27-jährige Klug das Handgelenk angebrochen. „Nicht beim Sturz selber, sondern sie ist dann dahingeschlittert und mit dem Stock im Gestrüpp hängengeblieben“, erklärt Härtl. Somit war schon die Teilnahme bei der WM in Lillehammer im Januar dahin. Aber es blieb ja noch das große Ziel Peking. Aber Ende Januar folgte das nächste Malheur. Beim Weltcup in Östersund (Schweden) verletzte sich Klug bei einem Sturz an der Schulter. Die beiden Verletzungen musste Klug auch erst einmal mental verarbeiten. Die Behindertensportlerin mit einer minimalen Restsehstärke und ihr Oberpfälzer Guide hofften aber noch auf die Teilnahme. Aber wenige Tage vor den Spielen folgte doch die Absage.
Härtl weiß, dass ein Sportler absolute Sicherheit braucht: „Wenn man mit 50 Sachen mit eingeschränktem Sehvermögen auf zwei dünnen Latten steht, muss man topfit sein“, sagt er. Diese Sicherheit fehlte. Für Clara gehe es jetzt erst einmal darum, wieder ganz gesund zu werden, meint Härtl. Sie werde wohl auch auf Reha gehen.
Das Aus für die Spiele sei auch schmerzlich, „weil die Behindertensportler nur alle vier Jahre die volle Aufmerksamkeit haben. Für uns sind die Paralympics der absolute Höhepunkt“. Die Wettbewerbe zwischendurch würden von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. „Du arbeitest vier Jahre auf diese eine Woche hin“, sagt Härtl, dessen sportliche Zukunft auch von der Zukunft Klugs abhängt. „Meine Abordnung zum Spitzensport gilt nur für Clara.“ Wenn die 27-Jährige ihre Karriere beenden sollte, dann würde er in den Zolldienst zurückkehren.
Der Traum von Cortina
Härtl hofft aber, dass es weitergeht. „Cortina in vier Jahren wäre natürlich ein tolles Ziel. Olympia in Europa, in einem richtigen Skigebiet.“
Für Härtl wäre es ein Traum, daran teilzunehmen. Derzeit ist es noch ein Alptraum. Die Paralympics-Klamotten hatte er schon nach Hause geliefert bekommen – Mützen, Hosen, Jacken. Härtl wird die Klamotten wegräumen. Er mag derzeit nichts sehen, was ihn an den geplatzten Traum erinnert.
Clara Klug und Martin Härtl bei den Paralympics 2018
Das ist Martin Härtl
- 47 Jahre alt. Geboren in Erbendorf, aufgewachsen in Friedenfels. Die Mutter und einige Verwandte wohnen dort.
- Lebt mit seiner Frau Christine in Weilheim/Oberbayern.
- Abitur an der FOS/BOS in Weiden.
- Beschäftigt beim Hauptzollamt München, derzeit abgeordnet an die Spitzensportförderung der bayerischen Polizei in Ainring.
- Seit 2012 Trainer und Guide der Behinderten-Biathletin Clara Klug.
- Mit Clara Klug zwei Mal Bronze bei den Olympischen Spielen 2018 in Pyeongchang.
- Mit Clara Klug drei WM-Titel 2019 bei den Weltmeisterschaften in Price George (Kanada), zudem einmal Silber und ein Mal Bronze.
- Mit Clara Klug zwei Mal Silber und ein Mal Bronze bei der WM 2017 in Finsterau (Bayerischer Wald)
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