LEO trifft: Dominik Lenz über seine Reise an die polnisch-ukrainische Grenze und bewegende Schicksale

Amberg
01.04.2022 - 09:46 Uhr
OnetzPlus

Es sind schockierende Bilder: getötete Menschen, flüchtende Familien, zerstörte Häuser. Der Krieg in der Ukraine bewegt – auch Dominik Lenz, Präsident des Round Table 235 Amberg-Sulzbach.

Der Krieg in der Ukraine bewegt – auch Dominik Lenz, Präsident des Round Table 235 Amberg-Sulzbach.

Nur wenige Tage nach Kriegsbeginn reist der Amberger zur polnisch-ukrainischen Grenze. Es ist nicht das erste Mal, dass er in einem Krisengebiet hilft. Im Interview erzählt der 29-Jährige von seinen Eindrücken an der Grenze, blindem Aktivismus und verrät, was ihn antreibt.

ONETZ: Das Leid der Menschen in der Ukraine ist unvorstellbar. Wie schnell war dir klar: Ihr müsst helfen?

Dominik Lenz: Das war sehr schnell klar. Als mich die Kriegsmeldung erreicht hat, habe ich sofort mit anderen Mitgliedern des Round Tables überlegt, was wir tun können. In den ersten Tagen war die Situation schwer einzuschätzen. Uns war aber klar: Viele Menschen werden fliehen. Und die, die bleiben, brauchen akute Hilfe. Uns ist wichtig, dass wir in Krisensituationen schnell eingreifen. Deshalb haben wir uns entschieden, dass wir Hilfsgüter direkt in die Ukraine bringen. Dort, wo sie am meisten gebraucht werden. Da viele von uns jemanden in der Ukraine kennen, darunter Sozialarbeiter und Ärzte, haben sie sofort Kontakt mit ihnen aufgenommen und Bedarfslisten erstellt. Das Ergebnis war deutlich: Es werden dringend medizinisches Equipment und Medikamente gebraucht.

ONETZ: Wie seid ihr aktiv geworden?

Dominik Lenz: Wir haben in Amberg Spenden gesammelt und diese in Sachgüter investiert, vor allem Medizin. Uns ist zugute gekommen, dass unser Verein relativ bekannt ist und die Menschen uns vertrauen. Zusätzlich haben wir Großspenden aus medizinischen Einrichtungen angenommen. Wir standen auch von Anfang an mit dem deutschlandweiten Round-Table-Netzwerk in Kontakt, das ständig im Austausch mit ukrainischen Kontakten ist und einen genauen Überblick darüber hat, was wo gebraucht wird. Der nächste Schritt war der Transport. Ich war bisher zwei Mal unterwegs. Das erste Mal haben wir die Hilfsgüter mit einem LKW direkt an die polnisch-ukrainische Grenze gebracht, das zweite Mal sind wir in die polnische Partnerstadt von Amberg gefahren. Aktuell sind in Polen über zwei Millionen Geflüchtete, da kann man sich vorstellen, dass auch dieses Land Hilfe braucht.

ONETZ: Was wird gebraucht und wen erreichen eure Lieferungen in der Ukraine?

Dominik Lenz: Unsere Hauptkontakte sind in Lemberg im Westen. Dort werden die Lieferungen hingebracht. Lemberg ist neben Odessa eine der Städte, die wir mit unseren Weihnachtspäckchen- und Freunde-helfen-Konvois anfahren. Der Kontakt besteht seit Jahren. Bei den regulären Konvoi-Fahrten jenseits der Kriegssituation verbringt man viel Zeit mit den Menschen, geht abends zusammen essen. Es ist schade, dass es jetzt anonymer ist, weil wir nicht in das Land können. Vor Ort wird vor allem medizinisches Equipment gebraucht, dass an Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und Notfallstationen verteilt wird: Bandagen, chirurgische Instrumente, Verbände, Schmerzmittel, OP-Kittel … dringend wird auch Technik benötigt, zum Beispiel Funkgeräte oder Stromgeneratoren. Wichtige Utensilien, um die medizinische Versorgung gewährleisten zu können. Auch haltbare Lebensmittel und sauberes Wasser werden gebraucht, genauso wie Hygieneartikel. Bei unserem Transport haben wir uns auf die Bedarfsliste konzentriert, hauptsächlich medizinisches Material.

ONETZ: Was hast du bei der Fahrt an die ukrainische Grenze erlebt?

Dominik Lenz: Wir waren mit einem 40-Tonner unterwegs. Zuerst sind wir nach Baden-Württemberg gefahren, um zusätzliches medizinisches Equipment einzusammeln. Dann ging es über Dresden nach Polen. Ich habe mich auf diese Tour nicht wirklich vorbereitet. So etwas kann man nie planen. Als wir unterwegs waren, wurden wir angefragt, ob wir noch einen Umweg über die Schweiz machen könnten, um ein Beatmungsgerät einzusammeln. Das hat sich dann zwar erledigt, daran sieht man aber gut, wie spontan die Aktion abgelaufen ist. Die Hinfahrt hat einen Tag gedauert. Als wir durch Polen gefahren sind, sind uns viele Feuerwehr-Kolonnen, Hilfskonvois und Sprinter aufgefallen, die bis obenhin vollbepackt mit Hilfsgütern waren. Auf der anderen Seite sind uns Reisebusse entgegengekommen, die geflüchtete Menschen aus dem Kriegsgebiet brachten. Vieles hat auf die Situation in der Ukraine aufmerksam gemacht, auch die LED-Anzeigen auf der Autobahn, die in den ukrainischen Farben geleuchtet haben.

ONETZ: Wie war die Situation an der Grenze?

Dominik Lenz: Unser Ziel war eine kleine Stadt wenige Kilometer von der Grenze entfernt. Der Umschlagsplatz war der Hof eines Unternehmers. Den genauen Ort zu nennen wäre zu riskant, da die Menschen Angst haben, dass auch sie Angriffsziel sein könnten, wenn sich der Krieg ausbreitet. Wir haben einige Stunden zuvor angekündigt, dass wir mit Hilfsgütern eintreffen werden, damit sich ein leerer LKW aus der Ukraine zum Treffpunkt in Polen aufmachen konnte. Die Stimmung der ukrainischen und polnischen Helfer war eine Mischung aus Hektik und guter Laune. Sie waren bestens organisiert, aber alles musste schnell gehen. Einer von ihnen hat mir erzählt, dass sie glücklich sind, dass sie so viele Hilfsgüter erreichen. Auch darüber, wie groß die Solidarität der Nachbarländer ist. In der Stadt selbst ist mir aufgefallen, dass viele Polizisten unterwegs waren und für Sicherheit sorgten. Vor Ort gibt es eine große Zeltstadt für Geflüchtete. Abends habe ich erfahren, dass das Atomkraftwerk in der Nähe angegriffen wurde. Das war beklemmend. Wir waren so nah dran und das alles hätte in einer Katastrophe enden können.

ONETZ: Wie geht es den Menschen in Lemberg?

Dominik Lenz: Wir bekommen aktuell wenig Feedback, weil die Hauptkoordination der Hilfe von einer zentralen Stelle des Round Table in Deutschland übernommen wird. Wir werden informiert, dass das Material dort ankommt, wo es gebraucht wird. Dass Menschen damit medizinisch versorgt werden. Das Problem ist, dass unsere Kontakte in der Ukraine nur wenige Informationen herausgeben, weil ein Großteil des medizinischen Equipments, das wir liefern, an Krankenhäuser geht, in denen auch verwundete Soldaten behandelt werden. Wird offiziell, wo sie sich befinden, wären sie ein potenzielles Angriffsziel der russischen Armee. Was wir aber wissen: Es gibt viele Menschen, die versorgt werden müssen: Verletzte, Kranke, von der Flucht geschwächte Personen …

ONETZ: Mit welchem Gefühl bist du nach Hause gefahren?

Dominik Lenz: An der polnisch-ukrainischen Grenze hatte ich das starke Gefühl, dass ich bleiben und helfen will. Oder besser noch direkt bis Lemberg in die Ukraine weiterzufahren und dort mit anzupacken. Leider war das unmöglich. Aber sobald der Krieg vorbei ist – und ich hoffe sehr, dass das bald der Fall ist –, wird es genau darum gehen: der Wiederaufbau in der Ukraine. Dann können wir endlich aktiv in diesem Land helfen. Natürlich bleibt auch das Gefühl, dass man nie genug tun kann. Das ist frustrierend, weil man jedem helfen will. Gleichzeitig waren wir auf der Heimfahrt sehr zufrieden, weil das Material, das wir transportiert haben, wirklich benötigt und sinnvoll eingesetzt wird.

ONETZ: Welche Schicksale bewegen dich am meisten?

Dominik Lenz: Einerseits bewegt mich die Gesamtheit des Elends, das sich im Moment in der Ukraine abspielt, aber natürlich berührt es mich sehr, wenn ich sehe, dass zivile Einrichtungen angegriffen werden: Geburtskliniken, Wohnhäuser … es ist schwer zu ertragen, dass Zivilisten, die ihr Leben in Frieden leben wollen, Opfer von so grausamer Gewalt werden. Es ist auch schlimm, wenn Soldaten sterben, aber bei der Zivilbevölkerung – Frauen, Kinder, alte Menschen –, da ist so eine Grenze nach der Grenze erreicht, die sehr schmerzhaft ist.

ONETZ: Es ist nicht das erste Mal, dass du in Krisengebieten hilfst. Du warst im Camp Moria auf Lesbos ...

Dominik Lenz: … zwei Mal: im September 2020 und im Sommer 2021. Wir haben damals die Information erhalten, dass es in dem Flüchtlingscamp gebrannt hat. Menschen, die sowieso schon kaum etwas hatten, saßen plötzlich auf der Straße, hatten Angst um ihr Leben. Keine Verpflegung, keine Hygienevorkehrungen. Es war eine akute Notsituation. Wir haben überlegt, wie wir helfen können – und wenige Tage später bin ich mit zwei anderen Round Tablern im Flugzeug nach Griechenland gesessen. Zuvor hatten wir noch Geldspenden gesammelt, mit denen wir vor Ort Hilfsgüter gekauft und an die Menschen verteilt haben. Zudem haben wir uns einen Bus gemietet und Behindertentransporte übernommen. Es war uns wichtig, dass wir uns selbst ein Bild von der schlimmen Situation vor Ort machen und Kontakte zu Organisationen knüpfen, die im Camp aktiv sind und die wir mit Spenden unterstützen wollten.

ONETZ: Moria, das Leid der Ukrainer - wie gehst du mit diesen Eindrücken um?

Dominik Lenz: Diese Eindrücke und Schicksale erden sehr. Wenn ich sehe, wie schlecht es anderen Menschen geht, die gar nicht weit weg von mir leben, erscheinen Probleme, mit denen ich hier konfrontiert bin, oft unwichtiger. Allerdings ist es erstaunlich, wie schnell man trotzdem wieder im normalen Alltag ankommt. Ich denke schon lange über das nach, was ich erlebt habe, aber durch die Arbeit, Termine und Verpflichtungen gerät es doch wieder in den Hintergrund. Vielleicht ist das auch nicht schlecht, denn es wäre niemandem damit geholfen, wenn diese Eindrücke mich oder auch die anderen Helfer zermürben würden. Das Bewusstsein bleibt, dass es viele gibt, die unsere Hilfe brauchen. Ich bin grundsätzlich niemand, der sich lange mit Schreckensnachrichten aufhält. Ich versuche, Probleme sachlich anzugehen. Lösungen finden statt Probleme immer wieder durchzuspielen. Das Schöne ist: Hast du einmal geholfen, willst du immer wieder aktiv werden. Diese Erfahrung habe ich auch bei anderen Round Tablern gemacht.

ONETZ: Was motiviert dich?

Dominik Lenz: Ich bin seit 2017, seit der Gründung, beim Round Table 235 Amberg-Sulzbach. Mich motiviert das Zusammenspiel aus zwei Aspekten. Es ist schön zu sehen, dass unsere Arbeit Menschen wirklich hilft und wir als Team etwas bewegen können. Gleichzeitig hat sich zwischen uns eine enge Freundschaft entwickelt. Es geht also um den Gedanken der Gemeinnützigkeit und gleichzeitig sind wir eine Gruppe aus knapp 20 Leuten, die alle die gleichen Ideale und Ziele haben. Das verbindet. Wir treiben uns gegenseitig an und schaffen so vieles.

ONETZ: Gerade im Moment nimmt diese Arbeit viel Zeit in Anspruch ...

Dominik Lenz: … das stimmt. Ich investiere etwa 75 Prozent meiner Zeit aktuell in die Organisation unserer Ukraine-Unterstützung, also dreiviertel meines Tages. Auch meine Wochenenden sind davon bestimmt. Neben den Transporten, die ich begleite, führe ich Gespräche mit Spendern, informiere über unsere Arbeit … es gibt viel zu tun. Dank meiner Selbstständigkeit bin ich aber relativ flexibel.

ONETZ: Was plant ihr als nächstes?

Dominik Lenz: Wir werden weitere Hilfstransporte organisieren und begleiten. Darauf konzentrieren wir uns im Moment zu 100 Prozent. Das ist unsere Stärke, weil wir ausgebildete Fahrer und die Möglichkeit haben, an LKWs zu kommen. Gleichzeitig verfolgen wir die Lage in Amberg genau. Wir stehen in Kontakt mit Personen, die sich um die Flüchtlingskoordination kümmern – sowohl in Amberg als auch in Sulzbach-Rosenberg. Auch sie unterstützen wir. Kommen noch mehr Geflüchtete nach Amberg, haben wir auch dafür Pläne und greifen dann verstärkt in der Region mit ein.

ONETZ: Wie wertest du die Hilfsbereitschaft in der Oberpfalz?

Dominik Lenz: Ich finde das phänomenal gut. Gefühlt ist es die größte Spendenbereitschaft seit langem. Sie ist deutlich höher als bei der Katastrophe in Moria, die ja auch in Europa und somit nicht weit weg von uns war. Selbst bei dem Hochwasserunglück im Ahrtal war die Resonanz nicht so hoch wie jetzt. Der Unterschied ist: Es ist keine Umweltkatastrophe, sondern Krieg. Eine der schlimmsten Dinge, die wir uns vorstellen können. Wir sehen das Leid und wollen nicht machtlos zusehen, sondern helfen. Wir erleben, dass viele aktiv werden wollen – von Privatpersonen über Unternehmen, Studenten bis hin zu Rentnern. Leider erleben wir dabei aber auch sehr viel blinden Aktivismus.

ONETZ: Wie sieht dieser blinde Aktivismus aus?

Dominik Lenz: Sehr viele Menschen wollen helfen. Das ist gut. Aber etliche informieren sich nicht richtig, was wirklich gebraucht wird oder wohin sie die Waren am Ende bringen können. Wir hören oft von privaten Sammelaktionen, bei denen viele Spenden zusammenkommen, die Leute dann aber Probleme bekommen, weil sie nicht wissen, wo sie alles abliefern sollen. Oder es sind spezielle Dinge, die aktuell vor Ort nicht gebraucht werden. Ein anderes Beispiel: Privatpersonen fahren auf eigene Faust an die polnisch-ukrainische Grenze, den Kofferraum voll mit Kleidung. Das ist megagut gemeint, aber so funktioniert es nicht. Sie bekommen ihre Spenden an der Grenze nicht los und fahren dann wieder nach Hause. Verständlicherweise sind sie gefrustet, weil sie ja etwas Gutes tun wollten. Hätten sie sich im Vorfeld aber informiert, hätten sie erfahren, dass Klamotten nicht gebraucht werden – dafür aber Medizin und Lebensmittel. Gut gemeint ist leider nicht immer gut gemacht. Deshalb versuchen wir verstärkt, Menschen aufzuklären und ihnen zu zeigen, was im Moment wirklich sinnvoll ist. Unsere Erfahrung ist, dass Geldspenden oft besser nutzen als Sachspenden, wenn sie einer vertrauenswürdigen Organisation übergeben werden.

ONETZ: Wie können Menschen jetzt effektiv helfen?

Dominik Lenz: Es gibt viele Möglichkeiten, um sich zu engagieren und effektiv zu helfen. Will man Geld spenden, sollte man sich im Vorfeld gut informieren, welche Organisation seriös ist, welche in der Nähe aktiv ist und wofür die Spende verwendet wird. Eine zweite Option sind Sachspenden. Auch da ist es wichtig, sich zu informieren: Was wird wirklich gebraucht? Wo kann ich sie abgeben? Wohin kommen die Waren? Auch Zeit kann man spenden. Menschen können sich an lokale Hilfsorganisationen wenden und mithelfen – Spenden sortieren, Telefonate führen, Transporte begleiten – da gibt es viele Bereiche, in denen Hilfe gebraucht wird. Ein weiterer Punkt ist die persönliche Expertise, die jeder einbringen kann. Ein Beispiel: Ein Apotheker könnte seine Kontakte nutzen, um günstig medizinische Produkte zu organisieren. Andere bieten ihre Dienstleistungen für geflüchtete Menschen an. Habe ich weder Zeit noch Geld, kann ich trotzdem tätig werden – indem ich darüber rede und auf den Krieg, das Leid der Betroffenen und Hilfsorganisationen aufmerksam mache. Es ist wichtig, dass das Thema nicht nach ein paar Tagen wieder aus unseren Gedanken verschwindet. Hilfe wird gebraucht. Langfristig. Und wirklich jeder kann etwas dazu beitragen.

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Weiden in der Oberpfalz01.03.2022
Auch du willst helfen?:

Hier findest du Informationen, wie du die Menschen in der Ukraine unterstützen kannst

www.rt235.round-table.de

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