Die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (VBW) drängt auf einen rascheren Ausbau der Stromnetze. "Beim Netzausbau müssen wir jetzt mit Sieben-Meilen-Stiefeln marschieren", sagte VBW-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt bei der Vorstellung des 12. VBW-Energiewende-Monitorings. Die großen Übertragungsleitungen zum Transport von Windstrom aus dem Norden nach Bayern müssten "ohne weiteren Zeitverzug fertiggestellt" werden. Gerade auch für den Bestand der Industriestruktur Oberfrankens und der Oberpfalz seien die Leitungen ein "wesentlicher Faktor", betonte er.
Das von der Prognos AG im Auftrag der VBW durchgeführte Monitoring zeige "schonungslos, dass wir beim Netzausbau hinterherhinken". In ganz Deutschland fehlten derzeit knapp 2000 Kilometer neue Leitungen im Vergleich zu den Netzentwicklungsplänen. Brossardt begrüßte in diesem Zusammenhang, dass sich die Staatsregierung inzwischen vorbehaltlos zum Netzausbau bekenne. "Das hatte ich vor fünf Jahren so nicht erwartet", kommentierte er die von CSU und Freien Wählern lange Zeit geäußerten Bedenken. Nach Einschätzung der Prognos-Projektleiterin Almut Kirchner ist der Netzausbau die "günstigste Weg zur Sicherstellung der Energieversorgung in Bayern". Er sei auf alle Fälle billiger als der Bau vieler neuer dezentraler Kleinkraftwerke.
Skepsis gegenüber Wiedereinstieg in die Atomkraft
Skeptisch äußerten sich Brossardt und Kirchner zu einem Wiedereinstieg in die Atomkraft. Diese könne Versorgungsprobleme frühestens in 20 Jahren lösen, meinte Brossardt, nachdem eine Wiederinbetriebnahme der vor einem Jahr stillgelegten Meiler laut Expertenaussagen in den kommenden zehn Jahren nicht realistisch wäre. "Der realistische Pfad ist aktuell der Ausbau der Erneuerbaren", sagte Brossardt. Mit Blick auf Atompläne in anderen Ländern ergänzte Kirchner, dass es "derzeit definitiv die teuerste Art ist, neue Kernkraftwerke zu bauen". Die hohen Kosten ließen sich auch nicht über den Strommarkt refinanzieren, sondern müssten den Steuerzahlern aufgebürdet werden. Sollte sich die Politik für eine langfristige Rückkehr zur Kernkraft entscheiden, werde sich die VBW dem aber nicht entgegenstellen, kündigte Brossardt an.
Aktuell sprach sich der VBW-Funktionär für den deutlichen Ausbau der Windkraft in Bayern aus. Hier müsse man "das große Rad drehen". Um die von der Staatsregierung gesteckten Ziele zu erreichen, müssten pro Woche ab sofort zwei neue Windräder entstehen. Kirchner sagte, in Bayern sei erst ein Zehntel des Ausbauziels bei der Windkraft erreicht. Der Freistaat hinke damit deutlich hinter den bundesweiten Fortschritten hinterher. Dafür sei Bayern bei der Photovoltaik führend. Vor allem im Winter brauche es aber mehr Windkraft zur Kompensation der dann wenigen Sonnenstunden.
Brossardt: Energiewende "wackelig und instabil"
Insgesamt sei die Energiewende sowohl im Bund als auch im Land als Grundpfeiler der Transformation der Wirtschaft "weiterhin wackelig und instabil", urteilte Brossardt. Mit Ausnahme weniger Sektoren zeige die Energiewende-Ampel bei Ausbauzielen, Strompreisentwicklung und CO2-Minderung - bei letzterer in Bayern besonders drastisch - fast überall "dunkelrot". Der Umbau des Energiesystems verlaufe "nach wie vor zu träge, zu kraftlos und zu umständlich". Brossardt sprach von einem "Energiewendchen". Die Politik forderte er auf, im Sinne der Akzeptanz bei der Bevölkerung noch mehr Überzeugungsarbeit zu leisten. "Die Menschen müssen wissen: Die Unternehmen werden künftige Standortentscheidungen maßgeblich davon abhängig machen, ob ausreichend grüner Strom zur Verfügung steht", hob Brossardt hervor. "Da geht es um Arbeitsplätze."
Immerhin in Sachen Versorgungssicherheit konnte die Prognos-Studie vorerst Entwarnung geben. Diese sei durch den europäischen Stromverbund gesichert. Eine bayerische Autarkie sei weder realistisch noch erstrebenswert. Vor allem die jährliche Stromausfallzeit sei in Deutschland so gering wie in kaum einem anderen Industriestaat, erklärte Kirchner. Durch den schleppenden Netzausbau sei dies aber teuer erkauft. Im vergangenen Jahr hätten fünf Milliarden Euro für Maßnahmen zur Netzstabilisierung ausgegeben werden müssen. Trotz aktuell sinkender Energiepreise forderte Brossardt erneut Entlastungen für die Industrie beim Strompreis. Als Alarmzeichen wertete er den kontinuierlichen Rückgang der Produktion in energieintensiven Branchen.
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