München
10.06.2022 - 10:53 Uhr

Untersuchungsausschuss "Maske": Zwischen Stress und Millionenprovisionen

Auf der einen Seite Millionen-Provision für ein paar Briefe und Anrufe, auf der anderen wochenlanger Stress und Überstunden – der Untersuchungsausschuss "Maske" blickt in den Maschinenraum der komplizierten Maskenbeschaffung Anfang 2020.

Der Untersuchungsausschuss "Maske" blickt in den Maschinenraum der komplizierten Maskenbeschaffung Anfang 2020. Bild: Marijan Murat/dpa
Der Untersuchungsausschuss "Maske" blickt in den Maschinenraum der komplizierten Maskenbeschaffung Anfang 2020.

Als Anfang März 2020 das Corona-Virus über Bayern hereinbrach, herrschte im bayerischen Gesundheitsministerium zunächst einmal eines: Chaos. So haben es zwei mit der Masken-Beschaffung beauftragte Beamtinnen vor dem Masken-Untersuchungsausschuss des Landtags geschildert. Die Ministerialrätin Tanja Decker berichtete, es habe keine Leitlinien und keine Handreichungen gegeben. Die Leiterin der Task Force "Beschaffung", Gabriele Hörl, erklärte, es hätten "komplett neue Strukturen" aufgebaut werden müssen, zunächst ohne weitere personelle Unterstützung.

Die damalige Arbeitsbelastung sei immens gewesen. Decker teilte mit, dass sie eigentlich nur noch zum Schlafen zu Hause gewesen sei. 940 Überstunden hätten sich bei ihr im Laufe der Zeit angehäuft. Bei Hörl waren es 1100 "aufgeschriebene Mehrarbeitsstunden". Sie ließ durchblicken, dass es real noch viel mehr gewesen seien. "Ich hatte damals keinen Tag frei, es ging von 8 bis 23 Uhr, auch am Samstag und am Sonntag", erzählte sie. Auch ihre Kolleginnen und Kollegen seien wohl nur selten vor 11 Uhr nachts aus dem Ministerium gekommen. Weil die Belastung nach wie vor hoch sei, könnten die Überstunden praktisch nicht abgefeiert werden. So mancher sei zwischenzeitlich wegen Überlastung aus dem Beschaffungsdienst ausgestiegen.

"Massiver Druck" von der Politik

Decker gab einen kleinen Einblick in das Seelenleben der ministeriellen Beschaffer, als diese erfuhren, dass einige Vermittler mit ein paar Anrufen und schön formulierten Briefen Millionen-Provisionen eingestrichen hatten. "Wir haben gekämpft", stellte sie die eigene Belastung und die ihrer Kolleginnen und Kollegen dem überschaubaren, aber üppigst honorierten Aufwand der Vermittler gegenüber. Ein Urteil darüber verkniff sich Decker. Nur so viel: Sie habe sich nicht vorstellen können, dass es in dieser Krise Menschen gebe, "die sich am Leid der anderen bereichern". Auch Hörl unterdrückte eine Bewertung. "Wir waren damals dankbar für jedes Angebot und haben uns nie Gedanken darüber gemacht, ob die Vermittler irgendwelche Provisionen erhalten", sagte sie nur.

Dafür schilderte Hörl umso eindringlicher, unter welchem Druck die Beschaffer damals gestanden hatten. Der kam aus der Ärzteschaft und den Kliniken, die in dramatischen Worten ein Zusammenbrechen des Gesundheitssystems an die Wand gemalt hätten, würde nicht sofort Schutzausrüstung besorgt werden. "Da ging es um Leben und Tod", sagte Hörl. Auch aus der Politik sei "massiver Druck" gekommen, vor allem aus der Regierungszentrale von Ministerpräsident Markus Söder (CSU): "Die Staatskanzlei war ständig an Lieferständen interessiert, und zwar täglich, stündlich – egal wer Lieferant oder Vermittler war."

Wie im wilden Westen

Ganz abgesehen davon wurden die Beschaffer im Ministerium mit Tausenden Angeboten geflutet. Ständig habe das Telefon oder das Handy geklingelt, die Mail-Postfächer seien übergelaufen. Manche seien wegen der schieren Masse bis heute nicht aufgearbeitet, teilte Hörl mit. "Das war damals Wildwest, man hat uns zugeschüttet mit Mails", blickte sie zurück. Als Beispiel nannte sie einen Strohhalmhersteller, der gemeint habe, Masken beschaffen zu können. Von Zertifikaten oder Qualitätsstandards habe die Masse der vermeintlichen Anbieter keine Ahnung gehabt, viele hätten nur das schnelle Geschäft gewittert.

Um ein wenig Ordnung in das Chaos zu bringen, habe man eine "grüne Spur" eingerichtet. Ziel sei es gewesen, aus der Flut der Angebote die Spreu vom Weizen zu trennen, erklärte Hörl. Auf die "grüne Spur", auch "Fast Lane" genannt, habe man die mutmaßlich seriösen Angebote zu weiteren fachlichen Prüfung geschickt. Auf diesen Beschleunigungsstreifen seien Angebote geschoben worden, die von anderen Ministerien – aktenkundig ist eine von Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) handschriftlich mit grüner Ministertinte verfasste Liste mit einem guten Dutzend mutmaßlicher Anbieter –, bekannten Unternehmen und Verbänden sowie von Abgeordneten vermittelt worden seien.

Mit dem großen Druck erklärte Hörl auch die horrenden Preise, die man damals zu zahlen bereit gewesen sei. In der Spitze waren das 8,90 Euro für eine FFP2-Maske und fast das Doppelte für eine noch höherwertige FFP3-Maske. "Unvorstellbar teuer" nannte das Decker, aber im Corona-Krisenstab habe sich daran niemand weiter gestört. Hauptsache, es seien überhaupt Masken geliefert worden. Hörl bestätigte, dass man auch intern gegen Knausrigkeit angegangen sei. Es sei eindeutig kommuniziert worden, "dass gekauft werden soll und nicht gespart". Interne Dokumente belegen, dass Beschaffer nicht gerade sanft gerüffelt wurden, die Skrupel wegen der Mondpreise hatten.

Hintergrund:
  • "Sauter-Masken": Der politischen Dimension der Maskenbeschaffung durch die Vermittlung prominenter CSU-Abgeordneter war man sich auf Beamtenebene im bayerischen Gesundheitsministerium offenbar bewusst. So liefen die von der Firma "Lomotex" teuer angebotenen Masken in internen Schreiben unter dem Begriff "Sauter-Masken" - nach dem Vermittler und damaligen CSU-Abgeordneten Alfred Sauter. Das Masken-Angebot eines Passauer Unternehmens firmierte in den Ministeriumsakten unter "Scheuer-Masken", weil sich der damalige Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) dafür stark gemacht hatte. Beschafferin Gabriele Hörl erklärte, man habe vielen Vorgängen eingängige Namen gegeben, um bei der Masse an Angeboten besser den Überblick zu behalten.
  • Irritierende Zeugenaussage: Für Irritationen im Landtag sorgt auch der Entwurf einer Zeugenaussage der Maskenbeschafferin Tanja Decker, den sie der Staatsanwaltschaft im Fall Andrea Tandler zukommen lassen wollte. Darin nannte sie vier Gründe, warum das von Tandler vermittelte Angebot der Schweizer Firma "Emix" als besonders vertrauenswürdig anzusehen sei. Einer davon war die Kontaktanbahnung durch die CSU-Europa-Abgeordnete Monika Hohlmeier. Im endgültigen Schreiben an die Staatsanwaltschaft scheint dieser Punkt zu fehlen. "Offensichtlich wurde im Ministerium eine politisch brisante Aussage geglättet", mutmaßt der Grüne Abgeordnete Florian Siekmann. Aus dem Gesundheitsministerium heißt es dazu, der Hinweis aus Hohlmeier sei nur "unter einem anderem Gliederungspunkt" aufgeführt. Auf Deckers Aussage sei kein Einfluss genommen worden.
 
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