Was heute als "Lost Places" en vogue ist, hat es dem gelernten Kirchenmaler und Restaurator Stefan Bircheneder schon länger angetan. Ausgehend von ersten Motiv-Recherchen im Regensburger Hafen entwickelte sich sein Interesse immer mehr hin zu verlassenen Fabriken, die er in Ostbayern und dann Ostdeutschland ausfindig machte. "Und irgendwann blieb ich dann sehr an Details hängen. Also nicht mehr die ganze Fabrik als Motiv für ein Gemälde, sondern die Spuren von ehemaligen Arbeiten. Sei es eine Werkbank, ein Werkzeugbrett, ein Waschbecken, Umkleidebänke, Uhren...
Eine große Werkreihe sind auch die Spinde. Sie stehen sinnbildlich für die vielen Arbeiter. Ein Spind ist gleich ein Arbeiter", schreibt der Künstler auf Nachfrage von Oberpfalz-Medien. Die Aufgeladenheit der Räume ist, was ihn von Anfang an fasziniert hat: "Man muss sich unwillkürlich vorstellen, wie die Arbeitsprozesse dort abgelaufen sind. Es ist vergleichbar mit einem guten Buch. Die Fantasie wird angeregt und man baut sich seine eigenen Welt drumherum."
Betreten illegal
Dass seine Leidenschaft nicht ganz ungefährlich ist, weiß Bircheneder: "Ich bin dort meist illegal drin." Er betrete die Objekte allerdings nur, wenn bereits ein Zugang wie ein kaputtes Fenster oder ein Loch im Zaun vorhanden ist. "Ich habe noch nie einen Zaun durchgeschnitten oder eine Tür aufgebrochen." Schnelligkeit, Bauhelm und Begleitung mit Abstand tragen zur Minimierung des Risikos bei. Mittlerweile sei er aber auch in der komfortablen Lage, Einladungen von Besitzern solcher Fabrikruinen zu erhalten: "Das ist natürlich ganz prima, zumal ich dann so auch noch an weitere Informationen zu den Objekten und ihrer Vergangenheit komme."
Dank seines zwischenzeitlich großen Archivs an fotografischem Material und Fundstücken sei er zudem nicht mehr so oft auf Motivsuche. "Aber früher bin ich einfach drauf losgefahren. Als Anhaltspunkt dienten Schlagwörter wie Porzellanindustrie in Nord-Ost-Bayern und dann habe ich einfach auf Karten Strecken ausgesucht, die einen Fluß und im Idealfall auch noch Gleisanschluss hatten und da lag man meistens richtig." Die Online-Plattformen für Lost Places und Urban Explorer, die aus dem Boden schießen, seit das Thema schick geworden ist, sind dagegen nichts für Bircheneder: "Diese Orte sind meist schon so stark frequentiert, dass sie für mich ihren Reiz verloren haben. Zu viele Sprayer oder Vandalismus oder illegale Müllberge stören doch den Reiz der Orte."
"Knusperflocke": Motiv aus alter Schokoladenfabrik
Die Ausbeute seiner Expeditionen landet aber niemals eins zu eins auf der Leinwand: "Für die Komposition werden schon mal bauliche Details verändert, verschoben oder weggelassen. Oder Einrichtungsgegenstände kommen hinzu. Und ein großer Schwerpunkt liegt natürlich auch in der Lichtstimmung. Hier arbeite ich gerne mit einem stark überhöhten Lichteinfall. Ein ganz positiver, hoffnungsvoller Effekt für manch düstere Szenerie. Und bei den Objekten und Spind-Arbeiten arbeite ich ganz frei."
Insgesamt neun seiner Werke zeigt er nun auf Einladung des Kulturamts Amberg und des Kunstvereins A.K.T. im Foyer des Stadttheaters. "Drei davon sind klassische Gemälde, die Interieurs zeigen." "Knusperflocke" ist mit 280 cm die größte Arbeit in der Ausstellung, das Motiv fand Bircheneder in der alten Schokoladenfabrik Zetti in Zeitz: "Ein Ost-Produkt, heute wieder sehr populär, natürlich mit neuem Produktionsort im Industriegebiet von Zeitz." Dazu gesellen sich vier Arbeiten, die sich eher Details widmen, drei davon ausnahmsweise in einer damals noch laufenden Produktion in einer Gießerei aufgespürt. Als aktuellstes Werk komplettiert "Spinde 10-14" die Auswahl. "Diese Arbeit lässt mich eine oft beobachtete Besonderheit aufgreifen. Fabrikruinen dienen heute oft als Spielplatz und oftmals sind es sicher auch Kinder oder Enkel von ehemaligen Angestellten, die sich heute dort austoben und natürlich auch sprayen."
Zielpublikum außerhalb der Blase
Um Letzteres abzubilden, hat sich Bircheneder den Künstlerkollegen und Sprayer Rayk Amelang an die Seite geholt: "Ich male erstmal die Reihung der Spinde. Dann kommt Rayk Amelang und besprüht die Leinwand mit einem Graffiti. Danach arbeite ich wieder weiter und passe das Graffiti wieder an. Ich muss also übersprühte Scharniere wieder nachmalen, Schatten und Lichtreflexe neu setzen und vor allem mit gemalten Aufklebern und den Hinterlassenschaften im Spind das ganze Gemälde zu einer fertigen Arbeit werden lassen."
Dass die Theaterbesucherinnen und Theaterbesucher nur "Flachware" aus der Dekade 2014 bis 2024 bestaunen können, hat mit den örtlichen Gegebenheiten zu tun: "Über die Hälfte meiner Arbeiten sind für das Foyer leider gar nicht geeignet, da man hier nur mit Schnüren von den Wänden abhängen kann. Meine ganzen dreidimensionalen Wandobjekte kann ich hier nicht zeigen. Auch kann ich nichts auf den Boden oder in den Raum stellen."
Mit der Schau auch Publikum außerhalb der "Bildenden-Kunst-Bubble" zu erreichen, freut Bircheneder besonders. Darüber hinaus verbinden sich in dem von ihm gewählten Ausstellungs-Titel sowohl seine Motive aus dem Arbeitermilieu als auch die Spielzeiten des Theaters perfekt mit dem Gefühl des "Feierabends", befindet der Künstler.
Zur Vernissage wartet aufs Publikum neben einem Video zur Werkeinführung auch ein Künstlergespräch zwischen Stefan Bircheneder und Marcus Trepesch, dem A.K.T.-Vorsitzenden. Letzterer zeigt sich unter anderem begeistert von Bircheneders über jeden Zweifel erhabener Technik: "Das ist der Hammer", schwärmt der Künstlerkollege am Telefon, "seine Bilder erzählen Geschichten, da ist auf den zweiten Blick so viel mehr zu entdecken."
Zu Person und Ausstellung
- Stefan Bircheneder, bildender Künstler, geboren 1974 in Vilshofen, Ausbildung zum Kirchenmaler und Restaurator, seit 2011 freischaffender Künstler, arbeitet in Regensburg und Vilshofen.
- Kunst im Foyer – Feierabend, Vernissage und Werkeinführung am Donnerstag, 1. Februar um 19.30 Uhr im Stadttheater Amberg, Eintritt frei, Ausstellung vom 2. Februar bis 18. Mai geöffnet jeweils eine Stunde vor Beginn der Veranstaltungen im Stadttheater Amberg
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