Irina Huber hatte lange mit sich gerungen: Ist es wirklich richtig, einen Abend zu veranstalten, der die fröhlichen Weihnachts-Traditionen der Ukraine vorstellt – während dort gerade Menschen im russischen Angriffskrieg sterben? Die Diplom-Pädagogin in Diensten des Caritas-Kreisverbands Amberg-Sulzbach ist selbst Ukrainerin. Sie stammt aus der Stadt Dnipro: Bei einem Bombenangriff auf ein Wohnhaus sind dort am vergangenen Wochenende mindestens 45 Menschen getötet worden, mehr als 70 verletzt und 20 werden vermisst. "Das schmerzt mich", gestand Irina Huber: "Das ist meine Stadt, meine Heimat."
Wunsch: "Erzähl von uns"
Den anderen, auch seine Kultur, zu kennen, das sei wichtig für ein gutes Miteinander – auf diesen Nenner brachte es Carsten-Armin Jakimowicz vom Caritas-Kreisverband. Irina Hubers Freunde in der Ukraine, aber auch in Russland, hätten sie ermuntert: "Sprich über uns, unser Land, erzähl von unseren Traditionen." Und zwar jetzt. Gerade jetzt. Genau das tat Huber am Mittwochabend im Caritas-Zentrum in Amberg. Unterstützt wurde sie dabei von den jungen Sängerinnen Sofiia und Yelyzaveta Sanzharevska sowie von Olga Gampel-Rudnikova, die fleißig gekocht hatte.
Ganz offensichtlich eine gute Idee: So groß war das Interesse, dass sich der Raum schnell füllte und sogar noch weitere Stühle organisiert werden mussten, damit alle einen Sitzplatz bekamen. Huber lebt seit 2003 in Deutschland und seit 2015 in Amberg, wo sie in der Asyl- und Sozialberatung der Caritas tätig ist. "Ich habe längst den deutschen Pass", sagte sie, fühlt sich aber ihrem Heimatland weiter eng verbunden – ganz besonders momentan, im Januar, der Weihnachtszeit in der Ukraine.
"Zwei Wochen Feierzeit"
Weil sich dort die orthodoxe Kirche, der 75 Prozent der Bevölkerung angehören, am julianischen Kalender orientiert, feiern die Ukrainer ihr Weihnachtsfest erst im Januar – und das sehr ausgiebig, wie Huber erklärte: Dem Heiligen Abend am 6. Januar folgen etliche Feiertage, bis die Weihnachtszeit am 19. Januar endet. "Zwei Wochen Feierzeit", bilanzierte Huber. Viele ihrer Landsleute, nicht nur die, die (momentan) in Deutschland leben, feierten auch nach christlichem Traditionen.
Weihnachten in der Ukraine ist laut Huber immer ein sehr großes Familienfest: Nicht nur die engere, auch die weitere Verwandtschaft kommt zusammen und pflegt viele Traditionen. Eine der wichtigsten ist, am Heiligen Abend zwölf Gerichte aufzutischen: Einige davon hatte Olga Gampel-Rudnikova vorbereitet, damit die Gäste nicht nur davon hören, sondern sie auch probieren konnten. Kutja ist zweifellos die wichtigste davon: Die traditionelle Süßspeise erinnert ganz entfernt an Milchreis, wird aber aus Weizen, mit Mohn, Walnuss, Rosinen und Honig gekocht. Ein Löffelchen davon muss jedes Familienmitglied nach dem Segen des Ältesten in der Runde essen, für Glück und Erfolg im neuen Jahr.
Der Diduch zieht ein
Vorher hält aber erst einmal der "Diduch" Einzug, ein Ährenbündel aus der Weizen-Ernte des vergangenen Jahres: Ein Symbol, das an die verstorbenen Ahnen erinnern, aber auch eine gute Ernte im neuen Jahr bescheren soll, wie Huber erklärte. Der Diduch bleibt bis zum Frühjahr im Haus, "dann nimmt man die Weizenkörner und legt sie in die Erde für eine gute nächste Ernte". Da es üblich ist, 40 Tage vor Weihnachten zu fasten, warten viele am Heiligen Abend sehnsüchtig auf den ersten Stern: Wenn man ihn sieht, ist die Fastenzeit vorbei, die nächsten beiden Wochen sind von üppigem Essen begleitet.
Borschtsch, die auch bei uns bekannte Rote-Beete-Suppe, ist ein weiteres der zwölf Heilig-Abend-Gerichte – und "seit Juli 2022 sogar offiziell immaterielles Kulturerbe der Unesco", wie Huber anmerkte. Symbolträchtig sind Knoblauch (steht für den Zusammenhalt der Familie wie die Zehen in der Knolle) und Walnuss (ein Symbol für Stärke) unterm Tischtuch – und dort wie auch auf dem Boden das Heu, das an den Stall erinnert, in dem Christus geboren wurde.
Bodenständige Küche
Ebenfalls auf den Tisch kommen Buchteln mit Pflaumenfüllung, außerdem Warenyky (zu Weihnachten mit Kartoffeln, sonst aber ganz vielfältig gefüllte Teigtaschen), die in der Pfanne angebraten werden. Die durften am Mittwoch ebenso gekostet werden, wie das "Nationalgetränk" Uzvar, für das getrocknete Früchte wie Äpfel, Birnen, Pflaumen und Rosinen mit Zucker in Wasser aufgegossen werden. Alles sehr bodenständig und typisch für diese Küche: "Die Ukrainer schaffen es immer wieder, aus wenig viel zu machen", so beschreibt es Irina Huber.
Nach dem Essen kommt noch einmal ein Schälchen Kutja auf den Tisch – "für die Familienmitglieder, die verstorben sind", denn sie, so erzählte Huber, "kommen an Weihnachten zu Besuch, sagt man. Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber es ist eine schöne Geschichte". Ebenso wie die von der Kerze auf dem Fensterbrett: Wenn sie brennt, ist das "ein Signal nach draußen, an alle, die arm und einsam sind – sie dürfen ins Haus kommen, am Essen teilnehmen und mitfeiern".
Die Sternsinger kommen
Der 8. Januar ist dann der Tag der Sternsinger, der Kolyadniki – Gruppen von Kindern, Frauen, Männern, die abends von Haus zu Haus ziehen, den Menschen Glück wünschen, sich auch ein wenig lustig machen, Szenen der Weihnachtsgeschichte nachspielen, singen und dafür kleine Geschenke und Geld bekommen. Der 14. Januar feiert den heiligen Basilius und das "alte neue Jahr": Der 14. markiert Neujahr im orthodoxen julianischen Kalender, der 1. tut dies im christlichen gregorianischen – und der 14.1. verbindet diese beiden Daten.
Die Weihnachtszeit endet in der Ukraine am 19. Januar mit dem Epiphaniusfest, das an die Taufe Christi im Jordan erinnert. Deshalb wird in der Ukraine an diesem Tag heute noch "Wasser in einem besonderen Ritus geweiht und für das ganze Jahr aufbewahrt", erklärte Huber – "wenn jemand krank ist, bekommt er ein Löffelchen davon". Tradition ist es, ein Loch in zu dieser Zeit zugefrorene Gewässer zu sägen, um dann im eiskalten Wasser unterzutauchen, "um seine Sünden abzuwaschen".
Ein Lied geht um die Welt
Einen kleinen Eindruck ukrainischer Lieder der Weihnachtszeit vermittelten im Caritas-Zentrum Sofia und Yelyzaveta. Für die beiden Schwestern, die im Juli dem Krieg entkommen und nach Deutschland gekommen sind, auch eine Art, dafür zu danken, dass ihr Traum wahr geworden ist und sie an der Berufsfachschule für Musik in Sulzbach-Rosenberg studieren dürfen. Sie sangen am Mittwoch auch das bekannteste ukrainische Weihnachtslied "Schedryk": Das Lied von der Schwalbe und den Lämmchen war ursprünglich ein anspruchsvolles Volkslied für vierstimmigen Chor und wurde in der Bearbeitung eines US-Komponisten als "Carol of the Bells" eines der bekanntesten Weihnachtslieder im englischsprachigen Raum.
Zum Ende richtete Irina Huber den Blick noch einmal auf die schlimme Zeit, die ihr Heimatland gerade durchleben muss – und zitierte aus einem Brief einer Betreuerin: Sie versichert darin einer geflüchteten Ukrainerin, dass sie nicht alleine sei und "auch in der dunkelsten Dunkelheit die Sterne leuchten". Das, so fügte Huber hinzu, erhoffe sie auch für die Menschen in der Ukraine, die ein Weihnachten ohne Strom, Heizung, Wasser erlebten: "Dass trotzdem die Sterne ganz hell leuchten für sie".
Kommentare
Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.
Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.