Amberg
19.05.2021 - 17:06 Uhr

Experten der OTH sagen: Die Zukunft des Handels ist digital

Erst Digitalisierung, dann Corona: Beides hat den Handel verändert – und wird das weiter tun. Wie also sieht die Zukunft dieser Branche aus? Digital: Davon ist die OTH Amberg-Weiden überzeugt. Sie hat Tipps für Händler parat.

Service ist eine Trumpfkarte, die auch kleinere Händler in der Hand haben: Hier sehen Handels-Experten der OTH noch Potenzial. Sie raten aber auch dazu, neue digitale Möglichkeiten zu nutzen – zusätzlich zum Landengeschäft. Archivbild: Petra Hartl
Service ist eine Trumpfkarte, die auch kleinere Händler in der Hand haben: Hier sehen Handels-Experten der OTH noch Potenzial. Sie raten aber auch dazu, neue digitale Möglichkeiten zu nutzen – zusätzlich zum Landengeschäft.

"Vier Thesen zur Zukunft des Handels" waren Thema beim Neumarkter Hochschulforum, das die Ostbayerische Technische Hochschule (OTH) Amberg-Weiden veranstaltet: Eine Vortragsreihe, in der es einmal pro Monat um "Herausforderungen der Digitalisierung und des technologischen Wandels" geht. Diesmal stand der Handel im Mittelpunkt der virtuellen Runde mit zwei Experten der OTH aus dem Bereich Handels-/E-Commercemanagemen: OTH-Vizepräsidentin Prof. Christiane Hellbach und stellvertretender Senatsvorsitzender Prof. Marco Nischl. Schon jetzt gibt es laut Nischl nicht mehr zwei getrennte Bereiche, den E-Commerce und den stationären Handel, "sondern alles wächst zusammen, alles gehört zusammen und geht ganz klar in eine Richtung der Vernetzung".

These 1: Die Zukunft des Handels ist datengetrieben

Daten spielen laut Nischl in allen Bereichen eine immer größere Rolle, auch im Handel. Hier gehe die Zukunft dahin, durch Daten die Kunden gezielt anzusprechen. So könne man ihr Verhalten voraussagen und Kundenprofile erstellen: "Das ist entscheidend, um passgenaue Werbung auszuspielen", die wiederum die "Grundlage unserer Käufe" sei.

Früher bekamen Nutzer am Rechner pauschal Werbung ausgespielt. "Diese Zeiten sind vorbei", längst sorgten Algorithmen dafür, dass jeder die für ihn passende Werbung gezeigt bekomme. Das sei derzeit noch sehr stark online der Fall, erobere aber auch immer mehr den stationären Handel, zum Beispiel in Smart Stores, in Geschäften vor Ort, in denen es "Displays gibt, die mich erkennen, wenn ich den Laden betrete". Auch wenn dies jetzt noch nicht sehr verbreitet sei, sei dies doch "Musik für die nächsten Jahre".

These 2: Online-Marktplätze dominieren den E-Commerce

Online-Marktplätze nannte Nischl als zweite These. Ein Online-Shop sei für viele Händler eine große Herausforderung, weil ihnen die Ressourcen dafür fehlen. Die Alternative biete ein Online-Marktplatz – mit Vor-, aber auch Nachteilen. Auch kleineren Händlern verschafften sie große Reichweite. Das koste etwas, ermögliche aber den schnellen und einfachen Weg in die digitale Welt. Der sei gerade für kleiner Händler einfacher und vielleicht auch erfolgreicher als ein eigener Online-Shop. Diese Plattformen können laut Nischl aber ganze Branchen verändern. Heute sei die große Revolution, dass aus einem Händler wie Amazon plötzlich ein Marktplatz werde. Wobei Amazon auch immer noch selbst Händler sei. "Das heißt, ich habe zwei Seiten des Handels, die bringe ich zusammen."

Diese Form der "Wertschöpfung in der digitalen Welt" gebe es "verstärkt im Handel: Immer mehr der großen Händler betreiben inzwischen selbst einen Marktplatz, über den wiederum die Kleinen verkaufen. Und das hat alles Zulauf." Das heißt laut Nischl aber auch, "dass die kleinen Online-Händler es immer schwerer haben, zu wachsen. Dazu hatte Nischl zwei Studienergebnisse parat: Demach wird in Deutschland inzwischen jeder zweite Euro im Online-Umsatz über Marktplätze erzielt. Und 74 Prozent der Kunden wollen künftig genauso viel oder mehr online kaufen wie in der Pandemie.

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Weiden in der Oberpfalz17.05.2021

These 3: Die Zukunft des Handels ist Mehrwert

Insbesondere der Handel in der Innenstadt sei unter Druck durch den E-Commerce, durch die Pandemie jetzt noch verstärkt: Darauf machte Christiane Hellbach aufmerksam. Das sei aber auch ein Bereich, in dem es sehr stark um Stadtmarketing gehe. Von besonderer Bedeutung seien hier Mehrwert und Erlebnisorientierung, aber auch die Revitalisierung durch digitale Konzepte. "Die Zukunft des Handels ist Mehrwert", nannte Hellbach These Nummer drei. Sie sieht hier speziell vier Trends: Mehrwert durch Concept-Stores, Service, Erlebnis und Retail-as-a-Service.

Als Beispiel nannte sie einen Concept-Store aus Bayreuth, der dort in aller Munde sei. Er habe kein breites, tiefes Sortiment, "sondern sehr viele Einzelstücke: "Ein spannendes Sortiment mit vielen Überraschungen in einer Wohnzimmer-Atmsophäre". Aus der Hirnforschung wisse man, dass das Thema sehr wichtig ist – denn " wenn wir Überraschungen erleben, wird in unserem Gehirn das Belohnungssystem aktiviert." Mehrwert durch Service: Darauf habe der Handel immer schon Wert gelegt, es "manchmal aber auch stiefmütterlich behandelt". Dabei seien Kunden "sogar bereit, dafür einen Preisaufschlag zu bezahlen, nämlich gut zehn Prozent. Das ist Potenzial, das der Handel wirklich noch brach liegen lässt." Viele Händler hätten sogar Services, aber häufig, ohne den Kunden zu fragen, was er will. Zudem seien diese Angebote oft gar nicht bekannt: Gute Kommunikation sei also sehr wichtig.

Ein Trend, der künftig laut Hellbach eine größere Rolle spielen wird, ist der "Erlebnishandel". Als Beispiel nannte sie das neue, regionale Konzept "Ikea City", mit einer deutlich kleineren Fläche direkt in der Innenstadt von Paris als Inspirationsort – mit einem Raum für Events und verknüpft mit dem Online-Shop. Die Beratung sei hier ein viel größeres Thema. Durch mehr und anders geschultes Personal. "Retail-as-a-service" ist ein Konzept, in dem ein Betreiber ein Objekt komplett einrichtet, von Möbeln über alles Digitale bis zum Kassensystem. Und der Händler mietet sich dann ein, auch kurz, als Pop-up-Store.

These 4: Die Zukunft des Handels ist digital

"Die Zukunft des Handels ist digital", so formuliert Hellbach eine vierte These. Es gehe um die Integration ins Geschäft, insbesondere bei kleineren Händlern. Doch auch hier sei eine Digitalisierung "möglich und auch nötig". Hellbach nannte dazu ebenfalls vier Trends. "Über alle Kanäle hinweg" heißt der erste, den sie am Beispiel eines familiengeführten Textilhauses in Hameln erklärte. Dieses hat sein stationäres Geschäft mit einem Online-Shop verbunden, aber auch im Laden über Monitore digitale Bestellmöglichkeiten sowie Angebote per App kombiniert. "Neu war für mich und sehr spannend: Die sind mit anderen Händlern in einer Gemeinschaft". In so einer "horizontalen Kooperation" betreiben mehrere Händler zusammen einen Onlineshop. So könne man Stärken bündeln und Schwächen ausgleichen.

"Der Handel wird zum Showroom" ist laut Hellbach ein sehr erfolgreiches Konzept aus Amerika. In so einem Geschäft "stellen Produzenten Waren aus", die man nicht direkt kaufen, sondern nur bestellen kann. Und, ganz wichtig: vorher ausprobieren. Davon, sagt Hellbach, hätten beiden Seiten etwas: Die Kunden können Dinge testen, vergleichen, bestellen dann und bekommen sie geliefert. "Das könnte auch ein Trend sein, den wir in unsere Innenstädte bringen können." Der Handel hat geringere Lagerbestände, aus Studien weiß man, dass die Retourenquote geringer ist, "wenn Sie die Waren vorher in Händen hatten", die Händler, die sich einmieten, erzielen höhere Bestellungen und die Berater haben mehr Zeit für den Kunden, "weil sie sich nicht so stark um die Warenpflege kümmern müssen, weil nicht viel Ware da ist. Ich bin ganz gespannt, wann das in unsere Städte kommt".

Dritter Trend: "Online vernetzen, offline profitieren." Hellbachs Beispiel dazu war eine Plattform für Nachbarschaftsverbindung, in der Gewerbetreibende kostenlos ihr Profil hochladen können, um Kunden in der Umgebung anzusprechen. "Social Commerce" integriere den Kauf auf Social Media. Hellbach hatte Zahlen dazu: "18 Prozent der Deutschen haben schon einmal über ein soziales Netzwerk gekauft." Bei den 18- bis 24-Jährigen seien es 30 Prozent. Und "Frauen kaufen über soziale Netzwerke eher ein als Männer". Am wichtigesten seien hier momentan Facebook und Instagram, aber auch Tik Tok, eine bei jüngeren und auch bei Frauen sehr beliebte Plattform, sei im Kommen. Hellbachs Fazit aus allen vier Thesen: "Regionaler Handel kann auch von der Digitalisierung profitieren."

 
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