Eine Definition, wann ein Mensch einsam ist, lässt sich gar nicht so genau formulieren. Jemand kann ganz alleine sein, ohne sich einsam zu fühlen. Allerdings kann man sich auch inmitten einer großen Menschenmenge befinden und das als den einsamsten Platz auf der ganzen Welt wahrnehmen.
Von Einsamkeit betroffen sind vor allem - wenn auch nicht nur - ältere Menschen. Georg Pilhofer, Diplom-Sozialpädagoge und Gerontotherapeut beim sozialpsychiatrischen Zentrum in Amberg, und Sonja Oleson, Leiterin der Geschäftstelle des Vereins zur Förderung der seelischen Gesundheit im Alter (SEGA), haben damit bereits viel Erfahrung gesammelt.
Wie Oleson sagt, hat Einsamkeit viel mit Missverständnissen und mangelnder Feinfühligkeit in der Kommunikation zu tun. "Das passiert oft ganz unbewusst und kann auch in der Familie vorkommen." Einsam können sich ältere Menschen auch in Einrichtungen wie einem Seniorenheim fühlen, erklärt die Expertin. "Das gibt es auch da, wo sie nicht alleine sind und wo immer sehr viel los ist." Wie Pilhofer ergänzt, geht es dabei nicht nur um soziale Isolation, sondern auch um das Gefühl, missverstanden, vielleicht nicht ernst genommen oder einfach nicht ins Geschehen eingebunden zu werden.
Fast an Einsamkeit gestorben
Wie problematisch Einsamkeit im Alter sein kann, zeigt der Fall von Christa Scheuer (Name durch die Redaktion geändert) vor vier Jahren, an den sich Oleson bis heute erinnert. "Frau Scheuer hat ein tolles Familienumfeld, das sich sehr um sie bemüht und kümmert, auch wenn die Angehörigen etwas weiter weg wohnen." Vor etwa vier Jahren bekam Oleson den Anruf von Scheuers Sohn, dass seine Mutter im Sterben liege. "Er sagte, dass er nicht kommen kann, wollte aber sichergehen, dass jemand bei seiner Mutter ist, um sie im Prozess zu begleiten. Anzeichen für den baldigen Tod seiner Mutter waren für den Sohn, dass die Seniorin nicht mehr aus dem Bett aufstehen konnte und bereits damit begonnen hatte, Flüssigkeit und Nahrung zu verweigern.
"Meine Kollegin ist hingefahren, um sich das anzuschauen. Nach etwa zwei Stunden hat sie mich dann angerufen und mir gesagt: Du, die Frau stirbt nicht. Sie ist einfach nur einsam." Daraufhin schaltete Oleson den Sega-Helferkreis ein, organisierte eine Alltagsbegleitung und jemanden, der einfach nur mit Christa Scheuer redet. "Sie war sehr gläubig, deswegen gab es dann auch wen, der mit ihr gebetet hat und sie in ihren Garten begleitet hat." Beim Thema Beten sei es zum Beispiel so gewesen, dass es wichtig für die ältere Dame war, dass jemand dabei war, wenn sie im Stillen gebetet hat. "Da ging es gar nicht darum, dass es um sie rum laut oder lebendig ist, sondern einfach nur, dass jemand da war."
Ein Sprichwort sagt: Totgeglaubte leben länger. Christa Scheuer lebt bis heute. Laut Oleson ist sie sogar "topfit". "Wenn ich sie begleite, rennt sie mir manchmal mit ihrem Rollator davon. Sie ist wieder total aufgeblüht. Es war nur die Einsamkeit, die sie hatte aufgeben lassen."
Helfer haben alles gegeben
Besonders die Coronapandemie hat der Einsamkeit unter Senioren noch einmal einen kräftigen Schub versetzt. Der Sega-Helferkreis hat laut Oleson alles unternommen, um den Betroffenen zu helfen. So wurden Tablets ausgegeben; man kümmerte sich darum, dass die Menschen in Seniorenheimen und anderen Einrichtungen zumindest über das Telefon Kontakt mit ihren Angehörigen oder den Helfern hielten. "Man muss ältere Menschen auch immer dazu ermutigen, das Telefon in die Hand zu nehmen. Sonst trauen sich viele nicht, weil sie niemandem auf die Nerven fallen wollen", sagt Pilhofer. Alleine 2022 haben die Helfer von Sega bis Oktober 6000 ehrenamtliche Stunden geleistet. "Damals in der Coronazeit sind sie bis vor die Fenster gegangen, um sich zumindest mit dem Menschen unterhalten zu können. Sie haben nicht aufgehört, zu unterstützen und sind mit Tablets in Vollmontur mit Schutzanzug in die Einrichtungen gegangen, um zumindest ein bisschen Nähe geben zu können", sagt Oleson.
Corona als Brandbeschleuniger
Pilhofer fügt an, dass die vielen Corona-Todesfälle in Seniorenheimen, wie zum Beispiel im BRK-Seniorenheim in Hirschau, dennoch dazu führten, dass die strengen Maßnahmen notwendig wurden.
Dass die Regeln geholfen haben, ältere Menschen vor Corona zu schützen, hat sich auch in den Sega-Helferkreisen bemerkbar gemacht. Wie Oleson sagt, ist dort "kein Fall aus der Hochphase der Coronapandemie bekannt, bei dem Betroffene an dem Virus gestorben sind". "Dennoch haben wir viele verloren. Sie sind gestorben, schätzungsweise an der Einsamkeit. Das waren Menschen, die vorher fit waren." Zwar hätten die Helfer alles in ihrer Macht Stehende getan. "Aber es ließ sich in diesem Ausmaß einfach nicht auffangen."
Wie man der Einsamkeit begegnet
Laut Pilhofer ist Einsamkeit in der Alterswissenschaft ein Feld, auf dem noch sehr viel geforscht werden muss. Für Oleson ist so viel klar: Einsamkeit kann – muss aber nicht – der Beginn einer Depression, vielleicht auch einer Demenz oder einer Sucht sein.
Um gegen die Einsamkeit etwas zu tun, seien nicht nur Angehörige und Freunde gefragt, sondern auch die Betroffenen selbst. "Oft habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Menschen, die unter ihrer Einsamkeit leiden, darauf gewartet haben, dass andere auf sie zugehen und sie mitnehmen", sagt Pilhofer. Es sei wichtig, Betroffenen klarzumachen, dass auch sie auf andere, wie zum Beispiel die Nachbarn oder die Nachbarschaftshilfe, zugehen können. "Die Leute waren meist sehr hilfsbereit, wenn es darum ging, sich bei ihrem alten Nachbarn mal umzuschauen und, wenn nötig, ein bisschen zu helfen, damit er nicht gleich ins Altenheim muss."
Was es laut den beiden Experten braucht, ist jede Menge Fingerspitzengefühl. Nicht jeder ältere Mensch, der gerne mal alleine ist, ist gleich einsam. "Man sollte auch niemanden überfrachten", sagt Pilhofer. Dennoch sei das Sprechen der Weg, auch wenn es Überwindung kostet. "Was man bei Einsamkeit geben kann, ist ganz viel Hilfe zur Selbsthilfe. Aber die Betroffenen müssen das auch annehmen und vielleicht den Mut finden, Probleme und Sorgen anzusprechen, einfach auch zu sagen: Ich würde gerne wieder etwas erleben, nehmt mich doch mal mit", so Oleson.
Unter diesen Adressen finden einsame oder depressive Menschen schnelle Hilfe
- Telefonseelsorge (www.telefonseelsorge.de). Unter der kostenlosen Hotline 0800/1110111 oder 0800/1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die schon in vielen Fällen Auswege aus schwierigen Situationen aufgezeigt haben.
- Sozialpsychiatrischer Dienst Amberg: Telefon 09621/ 37 24 0.
- Krisendienste Bayern sind rund um die Uhr unter 0800/655 3000 zu erreichen.
- Angebote speziell für ältere Menschen: Telefon-Engel vom Verein Retla. Älteren Menschen werden Telefonkontakte zu Ehrenamtlichen vermittelt, die dann regelmäßig anrufen. Nummer: 089/189 100 26 (Montag bis Freitag von 10 bis 18 Uhr).
- Sega-Onlinetreffen gegen Vereinsamung: Senioren werden mit Tablets ausgestattet, die vom Helferkreis eingerichtet werden. Ziel: Kontakt mit Freunden und Angehörigen aufrecht erhalten. Infos unter der Telefonnummer 09661/3048616.
- Der Ambulante Gerontopsychiatrische Verbund Bayern – Oberpfalz ist unter der Nummer 09621/3724 19 zu erreichen.
Kommentare
Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.
Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.