Die Dokumente sind heute in nüchterner, standardisierter Amtssprache ausgefüllt. Die Einträge von vor 500 Jahren lesen sich sehr viel blumiger, wie der Vortrag von Eva Lehner, M.A. an der Universität Duisburg-Essen tätig, zu berichten wusste. Sie betreibt Geschichts- und Geschlechterforschung. In ihrem spannenden und informativen Vortrag blätterte sie durch die Sulzbacher Kirchenbücher im Zeitraum von 1543 bis 1627. Da steht bei den Taufeinträgen von 1569 zum Beispiel zu lesen: Am ersten Januar "ein kindt getauft welches vater der edel und ernwert Paulis Celler richter alhie, gevatter Maria Krebsin, und ist das kind Anna Marie genandt worden".
Diese religiösen Register "sind in den Denkmustern der Zeit gefangen", beginnt die Wissenschaftlerin, die ihre Ausführungen in sechs Schwerpunkte gliedert. Dabei geht sie darauf ein, was Kirchenbücher im Allgemeinen und die Sulzbacher im Besonderen sind. Sie beleuchtet "Gefährdete Seelen", worunter man das Verzeichnis ungetaufter Kinder versteht. Unter der Überschrift "Wundergeburten" fasst sie die Besonderheiten bei Kindern mit Fehlbildungen zusammen, wobei hier "Reales und Fiktives untrennbar verbunden war!" Auch die "Armen Sünder", also das Verzeichnis hingerichteter Personen, erklärte sie. Dabei war die Art der Hinrichtung durch Schwert, Galgen oder Rad abhängig von der Schwere des Verbrechens. Die Frage nach dem Seelenheil ungetauft verstorbener Kinder, hingerichteter Personen und von Säuglingen mit angeborenen Fehlbildungen war nach damaliger Auffassung nicht eindeutig klar. Gehörten sie zur diesseitigen und jenseitigen christlichen Gemeinschaft oder eben nicht?
Die Referentin weiter: Mit der systematischen Personendatenerfassung in den Kirchenbucheinträgen bekamen die Menschen auf jeden Fall ein Gesicht, eine gesellschaftliche Stellung, einen Namen. Verzeichnet wurden die Menschen in Sulzbach etwa als Witwer oder Witwe, als Ehemann oder Ehefrau, Bauernknecht oder Magd, Junggeselle oder Jungfrau, Edelmann oder Edelfrau, oder als Kirchenpersonal, als Mitglied der Gemeinde oder als "Fremde/r". Alle haben einen Eintrag im Kirchenbuch bekommen, weshalb man sie sozusagen identifizieren kann. 1627 endet die Untersuchung, weil in diesem Jahr (im Zusammenhang mit dem Dreißigjährigen Krieg) die katholischen Jesuiten in Sulzbach die Kirchenbuchführung übernahmen. Im Anschluss der Ausführungen gab es noch etliche Fragen und viel Beifall.
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