Amberg
01.11.2021 - 09:26 Uhr

Neues Late-Night-Format im Stadttheater Amberg so ganz ohne C-Promis

Late Night um acht: Nora Gomringer feiert im Stadttheater Amberg eine großartige Premiere mit ihrem „Tinte & Terz“ überschriebenen Talkformat.

Nora Gomringer (rechts) ist nicht nur eine schlagfertige Gastgeberin, sie kümmert sich auch um Atmosphärisches und zündet für ihren Gast Nataša Kramberger die Kerzen an. Bild: Wolfgang Steinbacher
Nora Gomringer (rechts) ist nicht nur eine schlagfertige Gastgeberin, sie kümmert sich auch um Atmosphärisches und zündet für ihren Gast Nataša Kramberger die Kerzen an.

Von Peter Geiger

Oh ja - literarische Lesungen der klassischen Art, sie bergen die Gefahr staubtrockener Abendveranstaltungen! Ein meist etwas linkischer Autor mit schlechtsitzendem Sakko murmelt da was vor sich hin, bei gruseliger Gesamtakustik. Um ab und an von seinem bereits halbleeren Glas Wasser (still) zu nippen. Und dann quer durchs mitgebrachte Konvolut zu lesen, das sich als „mein neuer Roman“ entpuppt. Das Publikum lässt sogleich alle Hoffnung fahren. Rettet sich ins Gähnen. Oder wählt gleich die Flucht.

Nora Gomringer – im Hauptberuf Leiterin des Internationalen Künstlerhauses Concordia in Bamberg – sie weiß, dass sich die Literaturszene solche Klischees über Jahrzehnte hart erarbeitet hat. Hat sie sich doch selbst als vom Poetry-Slam kommende Autorin einen bahnbrechenden Namen gemacht, der ihr 2015 den Bachmann-Preis beim Wettlesen in Klagenfurt eintrug. Dieser entschiedene Wille zum Traditionsbruch, der ist bei der Premiere von „Tinte und Terz“, dem von ihr verantworteten Late-Night-Format im Stadttheater Amberg, ganz bestimmt verantwortlich, dass sie alles erfrischend anders macht.

Etwas völlig Neues

Dass das Publikum dort sitzt, wo normalerweise Schauspieler herumturnen, das kennen die Amberger noch von den „Studiokonzerten“. Dass das Blickfeld nun aber geöffnet wird und hinausreicht, in das kunstvoll ausgeleuchtete und weite Halbrund des eigentlichen Zuschauerraums, das verfügt nicht nur über großen Charme, sondern auch über symbolische Kraft: Unterstreicht dieser Perspektivwechsel über den Bühnenrand hinaus doch den Willen zum Neuen mit etwas völlig Neuem.

Auch die Gästeliste, die sich Nora Gomringer für diesen Abend zusammengestellt hat, sie ist im besten Sinne ungewöhnlich. Denn die Gastgeberin dieses Late-Night-Formats um 20 Uhr, sie erliegt nicht der Gefahr, uns jene aus Funk und Fernsehen bekannten Semi-Prominenten vorzuführen, deren halbseidener Ruhm darauf gründet, etwa auf dem Einrad zum Nordpol gefahren zu sein und darüber ein Buch geschrieben zu haben. Oder im Achtelfinale einer Trash-TV-Konkurrenz ausgeschieden zu sein. Nein, mit der aus Slowenien stammenden Autorin Nataša Kramberger und dem auf den etwas ulkigen Namen Vincent von Flieger hörenden Sänger und Gitarristen (der von Kompagnon Yoshi auf zahllosen Instrumenten begleitet wird) hat sie hochkarätige Künstler versammelt, deren Markenkern eindeutig die Qualität ist.

Über Berlin und Slowenien

In „Verfluchte Misteln“, ihrem soeben im Verbrecher-Verlag in Berlin erschienenen Romandebüt, erzählt Nataša Kramberger entschieden an ihrer Autobiographie entlang, ohne ins Familiär-Anekdotische abzudriften. Poetisch hoch verdichtet berichtet sie von ihrer Doppelexistenz, einerseits sich fürs Metropolen-Leben in Berlin entschieden zu haben, andererseits aber verwurzelt zu sein in ihrem slowenischen Dorf, in das sie zurück muss, um dort den elterlichen Bauernhof zu bewirtschaften. Dabei gelingen ihr, der urban geprägten Intellektuellen, nicht nur grandiose Beschreibungen des Archaischen und Urtümlichen – in ihrer höchst eigenwilligen Poetik entpuppt sie sich auch als Romantikerin blauesten Wassers.

Und das Musik-Duo? Verleiht diesen melancholisch-versonnenen Bildern vom Alpensüdrand mit elektronischer Hilfe einen hymnischen Anstrich – mit grandiosen Balladen, die in vordergründig tiefer Einfachheit gründen, Komplexität entfalten und dabei ganz nebenbei von großer Sehnsucht berichten. Ein grandioser Satz, der nach eigenem Bekunden auch Nora Gomringer tief bewegt hat, lautet in Übersetzung, dass sich das lyrische Ich wie ein im Bernstein gefangenes Insekt fühlt.

Fortsetzung am 9. Dezember

Gäbe es ein überzeugenderes sprachliches Bild für das, was wir alle – Zuschauer wie Akteure – erlebt haben, in den letzten gut 18 Monaten? Und ist solche Erkenntnisförderung nicht die vordringlichste Aufgabe einer Bühne? Die Vorfreude auf die Fortsetzung von „Tinte & Terz“ mit dem Schriftsteller Thomas Lang am 9. Dezember ist groß.

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Amberg10.10.2021
Hintergrund:

Der nächste "Tinte & Terz"-Termin

  • Donnerstag, 9. Dezember:
    Ab 20 Uhr spricht Nora Gomringer im Stadttheater mit Thomas Lang. Er arbeitet als freier Journalist, schreibt literarische Essays, Porträts und lehrt kreatives Schreiben. Der Vorverkauf startet am 11. November. Karten für zwölf Euro (ermäßigt sechs Euro) gibt es in der Tourist-Info am Hallplatz (Telefon 10-12 33).
Das Publikum genießt die Late-Night-Atmosphäre im Stadttheater Amberg bei „Tinte & Terz“. Bild: Wolfgang Steinbacher
Das Publikum genießt die Late-Night-Atmosphäre im Stadttheater Amberg bei „Tinte & Terz“.
 
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