Es ist eine Geschichte, die eigentlich kaum einer Erwähnung wert wäre. Doch zeigt sie beinahe exemplarisch auf, wie rund um die Themen Energie und Ukrainekrieg gezielt Ängste geschürt und bösartige Gerüchte gestreut werden. Im Zentrum steht das Siemens-Werk in Amberg mit seinen fast 5000 Mitarbeitern (inklusive Standort Cham). Unlängst erst wurde das Elektronikwerk (EWA) vom World Economic Forum in Davos für seine nachhaltige Produktion ausgezeichnet. Das EWA gelte als Vorreiter und "Inkubator" für Lösungen zur Dekarbonisierung der Industrie, so die Begründung.
Um das Thema "Energie" ging es auch in einem Beitrag, den ein vermeintlicher Ingenieur des Amberger Siemenswerks vor einigen Wochen in Facebook veröffentlicht hat. Der Mann, der sich "Herbert Dressel" nannte, behauptete, das Amberger Werk werde wegen der Energiekrise geschlossen und komplett in die USA verlegt. "Die offiziellen Medien sprechen nicht darüber!", klagt der Mann mit einem fetten Ausrufezeichen hinter seinem Vorwurf. Schnell stellt sich in dem Beitrag dann heraus, woher der Gerüchte-Wind weht: "Warum werden die Interessen der Ukraine über die Interessen der deutschen Bürger gestellt? Warum erhalten wir nicht alle Informationen, die uns zustehen?"
Herbert Dressel existiert nicht
Das gleich vorweg: Was dieser "Herbert Dressel" behauptet, ist frei erfunden – wie die Person übrigens auch. Nichtsdestotrotz ist es ein Paradebeispiel dafür, wie aus einer bestimmten Richtung ganz gezielt Fake-News gestreut werden, um die Bevölkerung zu verunsichern. Deutschland stehe im Ukrainekrieg unter der Fuchtel der USA, die doch nur ihre eigenen kapitalistischen Interesse verfolgen, so der Grundtenor einer ganzen Reihe von ähnlich klingenden Facebook-Nachrichten. Die in den vergangenen Monaten ganz gezielt veröffentlicht worden sind. So traf es die Brauerei Oettinger genauso wie Siemens in Amberg.
"Das ist kompletter Nonsens und entbehrt jeglicher Grundlage", reagiert Siemens-Pressesprecher Bernhard Lott hörbar angenervt am Telefon auf den Inhalt des Facebook-Posts. Weder plane Siemens eine Schließung oder Verlagerung des Amberger Werks noch existiere ein Mitarbeiter mit dem Namen Herbert Dressel bei Siemens. Das Recherchezentrum Correctiv ist dieser Falschmeldung noch näher auf den Grund gegangen. Unter der Überschrift "Narrativ der Deindustrialisierung: Nein, das Siemens-Werk in Amberg schließt nicht", beschreibt die Correctiv-Autorin Alice Echtermann, was sich hinter diesem gefälschten Facebook-Post verbirgt.
Der Weg führt in die Ukraine
Die Facebookseite von "Herbert Dressel", so hat sie herausgefunden, wurde im September 2022 ursprünglich unter dem Namen Agrostore angelegt. Es gibt auch nur einen einzigen Beitrag darauf – den über die drohende Siemens-Schließung. Zwar gibt der falsche Siemens-Ingenieur auf Facebook eine Wohnadresse im Amberger Dreifaltigkeitsviertel an, die dazugehörige Telefonnummer aber führt in die Ukraine. Die ebenfalls angegebene Internetadresse gehört zu einer ukrainischen Onlineplattform, die sich selbst als "Handels- und Informationsplattform" bezeichnet, auf der Geschäfte abgewickelt werden können. Es ist anzunehmen, dass sich "Herbert Dressel" dieser Angaben ebenso schamlos und gezielt bedient hat, wie er auch ein Foto von sich (das wahrscheinlich ebenfalls nicht echt ist) vor einer Amberger Stadtkulisse für seinen Account benutzt. Dummerweise hat er das Bild auch noch spiegelverkehrt genommen. Was zeigt, dass sich Ingenieur Dressel in Amberg wohl überhaupt nicht auskennt.
Wie Correctiv herausgefunden hat, ist die falsche Siemens-Meldung Teil einer Kampagne mit Falschinformationen über Schließungen von Firmenstandorten oder Konkurse von deutschen Unternehmen. Das Narrativ, Deutschland zerstöre wegen der Energiekrise und der Unterstützung für die Ukraine seine Industrie, werde derzeit in verschiedenen pro-russischen Kanälen verbreitet. In Russland dürfte auch der eigentliche Autor dieser Falschmeldung zu suchen sein.
Heuer 75-jähriges Bestehen
Ungeachtet dieser offensichtlichen Fake News erfreut sich das darin tot gesagt Siemens-Werk in Amberg allerbester Gesundheit. In diesem Jahr feiert der Standort mit diversen Feierlichkeiten seinen 75. Geburtstag und das neue Siemens-Innovatorium, das Besucherzentrum, ist inzwischen zum gefragten Mittelpunkt des Werks geworden. Siemens Amberg sucht nach wie vor Fachkräfte und Ingenieure – und wie gesagt: Das Amberger Elektronikwerk (EWA) wurde gerade vom Weltwirtschaftsforum in Davos mit einem Preis als Leuchtturmprojekt für Nachhaltigkeit ausgezeichnet, weil man hier konsequent an der Dekarbonisierung der Energieversorgung arbeite. Also nichts mit Schließung und Verlagerung in die USA.
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