Musterbeispiel für Energiewende auf dem Land: 105 Hausbesitzer bauen eigenes Nahwärmenetz

Gebenbach
19.09.2023 - 14:03 Uhr
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Wer sehen will, wie Gemeinschaft funktioniert, der sollte mal nach Gebenbach schauen: Dort schließen sich 105 Hausbesitzer zusammen, um ihr eigenes Nahwärmenetz zu bauen. Eine technische, bürokratische und soziale Meisterleistung.

22.30 Uhr, im Saal des Gasthauses Obermeier. Die Fenster werden aufgerissen, damit frische Luft reinkommt. Norbert Arnold setzt sich an den Tisch und stößt mit dem Bierglas an. Zweieinhalb Stunden herrschte gespannte Aufmerksamkeit, waren alle Blicke auf ihn gerichtet. Arnold berichtete, erklärte, moderierte und brachte die Versammlung letztendlich dazu, einstimmig den vorzeitigen Baubeginn für das Gebenbacher Nahwärmenetz zu beschließen. Ein Meilenstein für die Gemeinde nördlich von Amberg, ein Pilotprojekt für die ganze Region. "Jetzt fangen wir an", freut sich der Rentner darüber, dass eine Vision Wirklichkeit wird.

Zusammen mit einem Landwirt

Heizungsgesetz? Wärmewende? In Gebenbach haben die Hausbesitzer längst ihre eigene Antwort auf diese Herausforderungen gegeben. Sie konnten das, weil es in ihrer Gemeinde einen jungen Landwirt gibt, der eine Lösung anbietet. Sebastian Kraus baut die Biogasanlage auf seinem Hof zu einem regenerativen Speicherkraftwerk aus. Es erzeugt Strom und Wärme. Die Elektrizität nimmt ein Direktvermarkter ab, die Wärme geht in die Häuser rund um den Hof - nach Gebenbach und Atzmannsricht, in die Schule, den Kindergarten und das Rathaus. Sogar die Kirche wird künftig mit Wärme aus der Biogasanlage beheizt.

Im November vergangenen Jahres haben 34 Hauseigentümer die Genossenschaft "Nahwärme Gebenbach-Atzmannsricht" gegründet. Weitere 71 haben sind bis zum Jahreswechsel noch dazugekommen. "Im März waren wir als Genossenschaft eingetragen, konnten unser Bankkonto eröffnen und waren dann erst handlungsfähig. Und im September können wir schon mit dem Bau anfangen", fasst Aufsichtsratsvorsitzender Hans Bäumler das Ergebnis der Arbeit der vergangenen Monate zusammen. "Das ist das Gebenbach-Tempo."

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Gebenbach15.02.2023

Arbeit gab es jede Menge. Bäumler nannte die Zahl von 2000 Stunden, die der Vorstand der Genossenschaft mit Diskussionen, der Einreichung von Anträgen, Ortsterminen, Telefonschalten, der Einholung von Angeboten oder Ausfertigung von Verträgen beschäftigt war. Das Pensum konnte nur geleistet werden, weil sich verschiedenste Leute mit ihrer jeweiligen Expertise einbringen. Bäumler zum Beispiel ist Experte für Unfallanalyse, Biomechanik und Fahrzeugtechnik, er hilft unter anderem bei der Beweissicherung, wenn mit dem Bau der Hausanschlüsse begonnen wird. Vorstandsvorsitzender Arnold war von Beruf Buchhalter. Fachkräfte aus dem Baugewerbe sind dabei, Landwirte, Leute, die bei Behörden und Banken arbeiten, Software-Spezialisten. Alles, was Gebenbach zu bieten hat.

Erste Häuser im Sommer am Netz

Dreh- und Angelpunkt war bis zuletzt ein Förderantrag über rund 1,5 Millionen Euro, den die Genossenschaft beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) gestellt hat. Arnold brachte jetzt die vorzeitige Förderzusage mit in die Versammlung. Das Signal, dass es losgehen kann, wenn sich die Genossenschaft den letzten Ruck gibt. Eine Frage gab es noch. "Der Förderbescheid ist vorläufig. Was ist, wenn der Zuschuss wider Erwarten doch nicht kommt?" Die Antwort fiel im Grunde genommen einfach aus: Geht nicht, gibt's nicht. Die Genossenschaft nimmt die Bafa beim Wort, würde sie ihre Förderzusage nicht einhalten, wäre das ein beispielloser Vertrauensbruch. "Wollen wir vorzeitig beginnen", fragte Arnold? Niemand stimmte dagegen, nicht einmal eine Enthaltung gab es.

Kaum war der Beschluss gefasst, stellten sich schon die Heizungsbauer vor. Drei Handwerksbetriebe aus dem Landkreis Amberg-Sulzbach teilen sich die Arbeiten für die 105 Hausanschlüsse. Die Anwesen sind bereits grob zugeteilt, natürlich kann jeder Hausbesitzer frei wählen. Hinzu kommt der Bau des Leitungsnetzes, den sich zwei Firmen aus der Region teilen. "Wir fangen noch vor dem Winter an", bekräftigte Arnold. "Zuerst außerhalb der Dörfer, dann innerorts." Wenn alles nach Plan verläuft, können die ersten Häuser im Mai 2024 am Netz sein.

Kosten von 3,8 Millionen Euro

Ein paar Herausforderungen sind noch zu meistern, die Querung der Bahnstrecke etwa. "Das ist ein Kapitel für sich", berichtet der Mann an der Spitze der Genossenschaft. Die Dorf-Organisation aus Gebenbach muss dazu mit dem Konzern-Giganten Deutsche Bahn verhandeln. "Es dauert, da überhaupt einen Ansprechpartner zu finden", sagt Arnold. Und: "Die behandeln die kaum befahrenen Gleise zwischen Gebenbach und Hirschau genauso wie eine ICE-Strecke." Rund 70.000 Euro wird es wohl kosten, das Rohr für die Nahwärmeleitung unter dem zehn Meter breiten Bahndamm durchzustechen. Insgesamt kalkulieren die Genossen mit Kosten von rund 3,8 Millionen Euro.

So wollen sie den Betrag finanzieren: 0,78 Millionen Euro bringen die Genossenschaftsmitglieder durch ihre Einlagen selbst auf. 1,55 Millionen Euro sollen als Förderung von der Bafa kommen, 1 Million Euro fließt als Kredit von der VR-Bank, für den die Gemeinde die Bürgschaft übernimmt, und 0,47 Millionen Euro werden durch Anschlussgebühren eingesammelt. Sollte dann noch etwas fehlen, haben mehrere Genossen kleinere Darlehen in Aussicht gestellt. Die Biogasanlage, die die Wärme erzeugt, ist bei diesen Berechnungen außen vor. Sie ist Eigentum des Landwirts, er kommt selbst für Umbau und Erweiterung auf. Im Gegenzug verkauft er dann die Wärme an die Genossenschaft.

Jetzt kann es also losgehen, die Gebenbacher und Atzmannsrichter sind guter Dinge. Bürgermeister Peter Dotzler ist es auch. Durch das Nahwärmenetz lösen sich für ihn und den Gemeinderat gleich mehrere Probleme: Die künftig erforderliche Kommunale Wärmeplanung hat Dotzler schon in der Tasche, mehrere Gebäude der Kommune bekommen eine zukunftsfähige Heizung und die Glasfaserleitungen können auch gleich mit verlegt werden.

 
 

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