Enkel des Hausarztes der Konnersreuther Resl zweifelt an deren Geschichte

Konnersreuth
13.12.2022 - 18:48 Uhr
OnetzPlus

Die Resl habe heimlich gegessen, vermutet Otmar Seidl, der Enkel ihres Hausarztes Dr. Otto Seidl. Zufällig entdeckte Unterlagen seines Großvaters lassen ihn an der Geschichte zweifeln. In Konnersreuth reagiert man gelassen darauf.

Sie lagen die ganze Zeit auf dem Dachboden des Elternhauses. Otmar Seidl entdeckte sie vor ein paar Jahren in seiner alten Heimat in Waldsassen (Landkreis Tirschenreuth). Jede Menge Unterlagen, ein Berg voller Blätter. Drei Aktenordner füllen sie, erzählt Seidl heute. Ein Protokoll von Ordensschwestern, Briefe für den und vom Bischof sowie Notizen und eine Art Tagebuch seines Großvaters Otto Seidl. Persönliches und auch unbekanntes Material des Arztes, der die berühmte Resl von Konnersreuth behandelte und sie im Juli 1927 zwei Wochen lang auf ihre angebliche Nahrungslosigkeit untersuchte.

Otmar Seidl, der Enkel, beschäftigt sich seit langem mit dem Thema. Er vergrub sich in die neuen Dokumente, durchforstete Blatt für Blatt – und entdeckte darin einige Merkwürdigkeiten, wie der 78-Jährige erzählt, der aus Waldsassen (Landkreis Tirschenreuth) stammt, aber schon seit langem in München lebt und auch Mediziner ist.

Der Internist und Psychosomatiker zweifelt an der Geschichte der Resl, vor allem an der Geschichte, dass die Konnersreutherin (Landkreis Tirschenreuth) mehr als 30 Jahre lang nichts aß – außer einer Hostie am Tag. Die anderen Phänomene seien durchaus wissenschaftlich zu erklären. Eine Nahrungsaufnahme könne er zwar nicht nachweisen – aber einen Beweis der Nahrungslosigkeit lieferten die Unterlagen eben auch nicht, stattdessen würden sie einige Zweifel daran aufkommen lassen. "Meiner Meinung nach spricht vieles dafür, dass sie doch gegessen hat", sagt Otmar Seidl am Telefon und ergänzt, dass bei der Untersuchung damals "seltsame Dinge" geschehen seien.

Lücken in der Überwachung?

Therese Neumann, die eben für viele nur "die Resl" ist, wurde im April 1898 in Konnersreuth geboren. Die Frau hatte Visionen. Hatte Stigmata, sprich: Sie blutete aus Augen, Händen und Füßen – die Wundmale Jesu. Und mehr als 30 Jahre lang soll sie bis zu ihrem Tod 1962 nichts gegessen haben. So lautet die Geschichte, die seit nun fast 100 Jahren in Konnersreuth erzählt wird. Schon als junge Frau wurde die Resl wie eine Heilige verehrt, Tausende Besucher kamen in ihr Heimatdorf, um sie zu sehen. Noch heute wird Neumann auf der ganzen Welt angebetet. Hunderte Menschen bedankten sich auf Votivtafeln bei ihr, weil die Resl ihnen bei schwerer Krankheit oder auch der Führerscheinprüfung geholfen habe. In diesem Sommer wurde in Konnersreuth das Resl-Museum eröffnet. Seit 2005 läuft ein Seligsprechungsprozess.

Vor fast 100 Jahren war die Kirche skeptisch. Der damalige Regensburger Bischof Franz Anton von Henle ließ die Resl zwei Wochen lang von vier Mallersdorfer Ordensschwestern überwachen – ob sie nicht doch isst. Dr. Otto Seidl übernahm die medizinische Untersuchung. Seitdem wird der Waldsassener Arzt oft so zitiert, als hätte er den Beweis der Nahrungslosigkeit der Resl erbracht.

Das stimme aber nicht, sagt dessen Enkel Otmar Seidl. Sein Großvater habe nie etwas über die Resl veröffentlicht, nur ein Gutachten für den Bischof erstellt. Otmar Seidl glaubt auch, dass sein Großvater Details in dem Protokoll der Ordensschwestern übersehen hatte. Ob das Protokoll, das er auf dem Speicher fand, das Original ist oder eine Abschrift, sei nicht klar – jedoch weise es einige Lücken in der Überwachung nach, meint Seidl. "Da fallen einige Ungereimtheiten auf."

Seidls These mit dem Pfarrhof

Die Untersuchungen fanden nicht, wie vom Bischof und Otto Seidl gewünscht, an einem neutralen Ort – in einem Krankenhaus – statt, sondern bei Familie Neumann daheim. "Der Starrsinn des Vaters war dagegen", notierte sich Otto Seidl dazu. Zudem sei Resls Zimmer schlecht beleuchtet gewesen, und die vielen Besucher hätten die überwachenden Schwestern immer wieder in den dunklen Hintergrund gedrängt, erklärt Otmar Seidl.

Das Auffälligste an dem Protokoll sei allerdings etwas anderes, meint der Münchener. Die Resl sei täglich für mehrere Stunden außer Haus gewesen, im Pfarrhof, im Garten, in der Kirche. Was dort geschah, darüber berichteten die Schwestern in ihrem Protokoll sehr wenig. Pauschal heiße es nur, sie habe kommuniziert, gebeichtet, geruht oder mit Besuchern gesprochen. Das, so Otmar Seidl, stehe im krassen Gegensatz zu den Ereignissen im Zimmer, die im Protokoll genau beschrieben werden. Ob die Schwestern also bei Resls Besuchen im Pfarrhof, Garten oder in der Kirche dabei waren, sei unklar.

Im Protokoll heiße es auch, dass die Resl an mehreren Tagen über Stuhldrang klagte, der daraufhin wieder verschwand, um Tage später wieder aufzutauchen. Ihr gemessenes Körpergewicht schwankte parallel dazu, sagt Seidl, zum Teil wog sie an einem Tag drei Kilogramm mehr als an einem anderen Tag. Und von den drei abgegebenen Urinproben habe nur die erste einen Hungerurin aufgewiesen, wie er bei strengem Fasten entsteht.

"Meine These ist, dass sie bei den täglichen Ausflügen, im Pfarrhof oder im Garten gegessen hat", sagt Otmar Seidl und schiebt hinterher, dass er das aber nicht beweisen könne.

Pater: "Nebensächliche Aspekte"

Für Otmar Seidl sind die Nachforschungen über die Resl "Familientradition", wie er sagt. Seinen Opa Otto Seidl lernte er nicht kennen, er starb 1945. In der Familie wurde aber oft über ihn und die Resl gesprochen. Auch die berühmte Konnersreutherin sah Otmar Seidl nie live. "Der Vater hat uns nie rübergelassen", erinnert er sich. Er, der Vater, wollte nicht, dass sein Bub eine blutende Frau zu sehen bekommt. Otmar Seidl habe das Ganze damals eher als eine "Schauergeschichte" empfunden. Die Geschichte hat ihn bis heute nicht losgelassen.

Pater Benedikt Leitmayr, Vorsitzender des Konnersreuther Ring und Pfarrer von Konnersreuth, reagiert gelassen auf Seidls Zweifel. Er möchte sich aus der "Interpretation von medizinischen Untersuchungen zum Fall Therese Neumann" heraushalten, wie er in einer Mail schreibt. "Hier sollen für die Kirche nebensächliche Aspekte diskutiert werden", meint Leitmayr. "Noch nie wurde in der Kirchengeschichte jemand heiliggesprochen, weil er nahrungslos gelebt haben soll oder stigmatisiert war." Die Kirche blicke kritisch auf das "christliche Tugendleben" des betreffenden Menschen – "und nicht auf das Ergebnis etwaiger Urinuntersuchungen". Es bleibe jeden selbst überlassen, zu versuchen, etwas aus knapp 100 Jahre alten Unterlagen "heraus- oder hineinzulesen, was dort gar nicht drin steht".

Aber auch am "christlichen Tugendleben" der Resl hat Otmar Seidl so seine Zweifel, nachdem er die Dokumente seines Großvaters durchgelesen hat. Dort findet sich ein Satz über die vier Ordensschwestern, die vom Verhalten der Resl wohl nicht besonders angetan waren: "Eine Heilige hätten sie sich recht anders vorgestellt."

BildergalerieOnetzPlus
Konnersreuth04.03.2022
OnetzPlus
Konnersreuth24.11.2022
OnetzPlus
Konnersreuth16.09.2022
Hintergrund:

Die Geschichte der Resl

  • Therese Neumann kommt am 8. April 1898 in Konnersreuth auf die Welt
  • Ab 1918 mehrere Krankheiten, wird zu Pflegefall, heilt bis 1925 komplett
  • 1926 erste Vision, erste Stigmata und Beginn der Nahrungslosigkeit
  • Stirbt am 18. September 1962 an einem Herzinfarkt
  • Wird heute noch weltweit wie eine Heilige verehrt; es gibt aber auch Zweifel an der Geschichte
 
 

Kommentare

Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.

Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.