Depressionen im Alter: Eine unterschätzte Krankheit mit bösen Folgen

Sulzbach-Rosenberg
19.10.2022 - 18:39 Uhr
OnetzPlus

Fünf Prozent der über 65-Jährigen in Deutschland leiden an Depressionen, die behandelt werden müssen. Diplom-Sozialpädagoge Georg Pilhofer und Sonja Oleson, Leiterin der Geschäftsstelle von SEGA im Kreis Amberg-Sulzbach, wollen aufklären.

Depressionen sind bei älteren Menschen weit verbreitet. Experten aus dem Landkreis raten dazu, Warnsignale ernst zu nehmen.

"Geh' doch mal mehr raus und mach' ein bisschen Sport", mag ein nett gemeinter Rat sein. Doch wenn die angesprochene Person unter Depressionen leidet, dann bringt er nichts, ist mithin einfach nur frech, weil er implizit voraussetzt, dass der Mensch, der betroffen ist, nur seinen Lebensstil ein wenig ändern muss, sonst aber keinen Grund hat, sich zu beklagen. Kurz gesagt: Ein derartiger Rat führt dazu, dass dem Betroffenen unterstellt wird, selbst für seine Lage verantwortlich zu sein. Doch bei einer Depression handelt es sich nicht um ein Kinkerlitzchen oder ein Einstellungsproblem, sondern um eine waschechte Krankheit. Im schlimmsten Fall mündet sie im Suizid. Rund 20 Prozent der Menschen in Deutschland leiden unter einer depressiven Störung. Die Rate nimmt mit zunehmendem Alter zu. Dennoch sind gerade Senioren die Bevölkerungsgruppe, an die dabei häufig am wenigsten gedacht wird.

Depression kann jeden treffen

Georg Pilhofer, Diplom-Sozialpädagoge und Gerontotherapeut beim sozialpsychiatrischen Zentrum in Amberg, und Sonja Oleson, Leiterin der Geschäftsstelle des Vereins zur Förderung der seelischen Gesundheit im Alter (SEGA), ist es wichtig darüber aufzuklären. Bis heute handelt es sich bei Depressionen um eine zu tiefst stigmatisierte Krankheit, wie Oleson sagt.

Dabei können Depressionen jeden treffen - vom Kindergartenkind bis zur 90-Jährigen. Während aber das Thema Depression vor allem bei jüngeren Menschen immer mehr in den Fokus tritt und damit zunehmend offen umgegangen wird, wissen Senioren teils gar nicht, was unter Depressionen zu verstehen ist.

"Das größte Problem dabei ist, dass viele ältere Menschen so sozialisiert wurden, dass es ein Tabu ist, andere, vor allem fremde Menschen, nach Hilfe zu fragen", sagt Pilhofer. Gerade die Hilfe also, die so nötig wäre, kommt für Betroffene im Alter nicht infrage. Oft werde die Krankheit lange nicht erkannt. "Wir haben sehr viele Klienten, die von Depressionen betroffen sind. Schnell passiert es auch, dass ältere Leute mit Konzentrationsproblemen in die Schublade Demenz gesteckt werden. Dabei ist es im Gegensatz zur Demenz so, dass die Möglichkeit besteht, Depressionen durch Antidepressiva ganz zu heilen oder zumindest zu lindern", sagt Pilhofer. Allerdings ist es möglich, auch das heben Pilhofer und Oleson hervor, dass eine Depression bereits vor einer Demenz vorhanden war oder aber sich im Laufe einer Demenz entwickelt. Laut Pilhofer werden rund acht bis zehn Prozent der Demenz-Diagnosen fälschlich gestellt, weil es sich dabei eigentlich um Depressionen handelt, diese aber nicht erkannt werden.

Angehörige sensibilisieren

"Immer wieder kommen ältere Menschen mit körperlichen Symptomen in die Arztpraxis, wie zum Beispiel mit Schwindel oder mit Schmerzen im Knie." Hier sei es wichtig, sollten sich keine Ursachen für die Symptome finden lassen, genauer hinzuschauen. "Gerade da ist es nötig, dass der Arzt erkennt, dass es sich dabei vielleicht um einen Ausdruck seelischen Leidens handelt."

Pilhofer und Oleson plädieren daher dafür, dass auch Angehörige das offensichtliche Leid ihrer Angehörigen ernst nehmen. Dazu sagt Oleson: "Viele schieben das auf das Alter, dass es jemandem nicht mehr so gut geht. Oft ist ihnen gar nicht bewusst, dass die Person gerade in eine Depression rutscht."

Ähnlich wie beim Thema Demenz auch hoffen die beiden Experten, dass sich nicht nur Betroffene Hilfe suchen und sich an die Fachstellen wenden, sondern vor allem auch Angehörige ein Gespür dafür bekommen, wann Unterstützung angebracht ist und diese auch in Anspruch nehmen, wenn sie merken, dass die betroffene Person dazu alleine nicht in der Lage ist.

Ein langer Leidensweg

Einen ganz konkreten Fall von Depression im Alter stellt die Geschichte von Monika E. (Name v. Red. geändert) dar. Pilhofer hat sie bei ihrem Kampf mit den Depressionen begleitet. "Ich wollte nur nicht mehr denken", sagt sie. Kurz vor Weihnachten hatte sie Tabletten genommen, weit mehr als gesund gewesen wäre. Die Frau ist 67 Jahre alt. Sie leidet seit über zwei Jahrzehnten an Depressionen. Heute sagt sie zu dem Vorfall: "Da war ich wieder im Eimer." Damals, kurz vor Weihnachten, wurde sie gerade noch rechtzeitig gefunden. Sie kam in die psychiatrische Klinik, wo sie über fünf Wochen behandelt wurde. Seitdem bekommt sie ein Antidepressivum, das ihr viel ihrer Lebensqualität zurückgegeben hat.

Das Leben der Monika E. war immer wieder von schweren Schicksalsschlägen geprägt. Kurz vor der Silberhochzeit starb ihr Mann völlig überraschend. Geldsorgen zwangen sie in einen Job, den sie nie machen wollte. Dann kam der nächste Schlag: E. erlitt eine Gehirnblutung, lag im Koma und musste alles wieder lernen: vom Sprechen übers Essen bis hin zum Schreiben. Wieder fit, erkrankt ihre Tochter bald an einer schweren Darmerkrankung. E. pflegt ihre Tochter. "Wenn man da drin ist, dann schafft man einiges", sagt sie. Weil sie mit den Erfahrungen nicht klarkommt, entwickelt die Tochter danach aber ein Alkoholproblem. Auch der neue Lebensgefährte der Mutter stellt sich als purer Egoist heraus. Die Tochter macht eine Therapie und erholt sich.

Keine falschen Schlüsse ziehen

Sonja Oleson ist es in diesem Zusammenhang aber wichtig, dass nicht nur "gebrochene Seelen" an Depressionen erkranken können, sondern jeder davon betroffen sein kann, unabhängig seiner Erfahrungen, Hintergründe oder Einstellungen.

Wenn das Umfeld im Kleinen weiß, wie man damit umgehen muss und das auch erkennt, dann ist schon viel geholfen. Dafür muss keiner zum Mediziner werden."

Info:

Infos zu Depressionen im Alter – Hilfe für Betroffene und Angehörige

  • Rund fünf Prozent der über 65-Jährigen in Deutschland haben eine Depression, die als behandlungsbedürftig gilt.
  • Circa 40 Prozent der rund 11 000 jährlich registrierten Suizide in der Bundesrepublik werden von Menschen über 60 Jahren begangen, wobei sich deutlich mehr Männer als Frauen suizidieren.
  • Georg Pilhofer vom Sozialpsychiatrischen Zentrum in Amberg rät Angehörigen, die Suizid-Äußerungen älterer Menschen genauso „als Warnsignale ernst zu nehmen wie die Anzeichen einer Depression nicht als lediglich altersbedingte Verschleißerscheinungen“ abzutun.
  • Informationen und Hilfe finden Betroffene und Angehörige beim Ambulanten Gerontopsychiatrischen Verbund (www.agvb.de), beim Verein zur Förderung der seelischen Gesundheit im Alter (www.sega-ev.de) oder beim Sozialpsychiatrischen Zentrum Amberg der Diakonie (www.diakonie-suro.de).
  • Hilfe bei akuten Fällen finden sowohl Betroffene als auch Angehörige rund um die Uhr beim Krisendienst der Oberpfalz unter der kostenlosen Nummer 0800/6553000 oder bei der evangelischen Telefonseelsorge unter 0800/1110111 beziehungsweise bei der katholischen Telefonseelsorge unter 0800/1110222.
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Amberg16.09.2022
 
 

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