Weiden in der Oberpfalz
31.05.2021 - 00:28 Uhr

Streiflichter aus fünf Jahrzehnten

Im digitalen Zeitalter nehmen sich frühere Jahrzehnte fast etwas lächerlich aus – obwohl es gerade derzeit nicht viel zu lachen gibt. Als Senior-Verleger und langjähriger Redakteur möchte ich ein paar Streiflichter Revue passieren lassen.

Ludwig Stiegler (Mitte) organisiert für German Vogelsang das letzte Autogramm von Helmut Schmidt vor dem Ende seiner Kanzlerschaft. Bild:  Josef „Jupp“ Heinrich Darchinger
Ludwig Stiegler (Mitte) organisiert für German Vogelsang das letzte Autogramm von Helmut Schmidt vor dem Ende seiner Kanzlerschaft.

Von Verleger German Vogelsang

Mit dem Rad zum Termin

Am 1. Februar 1962 trat ich in den Verlag ein als Redaktionsvolontär. Als Brillenträger hatte ich besonders bei abendlichen Besuchen von Faschingsveranstaltungen meine Probleme. Die weit auseinanderliegenden Veranstaltungsorte in Weiden zwischen Postkeller, Evangelischem Vereinshaus und Kolpinghaus an winterlichen Abenden mit dem Fahrrad aufzusuchen, war eine sensible Angelegenheit. Mit beschlagenen Brillengläsern in die Hochstimmung von Gaudi-Veranstaltungen und etwas außer Atem zu kommen, war fast immer eine sehr einseitige Veranstaltung. Da der Weidener Lokalchef Walter Katzenberger, selbst fortgeschrittener Junggeselle und Faschings-Mittelstürmer, kein Kind von Traurigkeit war, musste die Berichterstattung schon in einer besonders humoristischen Tonlage erfolgen. Keine leichten Lehrjahre!

Heinrich von Pierers Berichte

Mit 24½ Jahren durfte ich die Sportredaktion übernehmen und war - meines Wissens nach - der bisher jüngste Ressortleiter in der NT-Verlagsgeschichte. Die Sportredaktion umfasste das gesamte Verbreitungsgebiet des Verlages und wurde deshalb leicht unterschätzt. Hauptarbeitstag war natürlich der Sonntag (und das ist bis heute so geblieben). Die SpVgg Weiden spielte in der Bayernliga. Und bei Auswärtsspielen mussten wir von dem vor Ort dominierenden Zeitungsverlag einen Spielbericht anfordern. Das war nicht immer einfach, aber klappte in der Regel recht gut. Wenigstens einmal gab es aber doch Schwierigkeiten. Die SpVgg spielte in Erlangen und gewann überraschend mit 1:0. Der Berichterstatter, ein Student aus Erlangen, der sich mit der Berichterstattung sein Studium zum Teil finanzierte, hatte in seinem Bericht den Namen des Torschützen unerwähnt gelassen. Damals gab es noch kein Handy. Es gab fieberhafte Überlegungen, wie man es schaffen könnte, den Torschützen herauszukriegen. Als am späteren Sonntagabend der Vereinsbus beim "Schwarzen Bären" in der Sebastianstraße ankam, konnten wir den Namen noch im Bericht unterbringen. Übrigens: Der Student, dem wir diesen Artikel zu verdanken haben, ist später einer der bedeutendsten Wirtschaftsführer geworden. Ich hatte später auch die Ehre, ihn persönlich kennen zu lernen. Es handelt sich um Heinrich von Pierer, langjähriger Chef der Siemens AG, der übrigens jetzt unter dem Titel "Die Kunst des Machbaren" einen, anlässlich seines 80. Geburtstages, ganz wunderbaren Band über sein Berufsleben veröffentlicht hat - unter besonderer Berücksichtigung seiner persönlichen Erfahrungen in China. Sehr lesenswert!

Strößenreuthers Drama

Einen nahezu metaphysischen Beigeschmack hatte ein Ereignis von 1968. Heinz Hoffmannbeck (selbst langjähriger Sportredakteur) hatte für mich den Sonntagsdienst übernommen, weil ich an diesem Tag bei einem wichtigen Spiel unseres SV Weiden nicht fehlen sollte. Es ging um die Meisterschaft, wenn auch nur in der A-Klasse, aber immerhin. Kurz zuvor hatte uns in der Sportredaktion Manfred Strößenreuther besucht, der nicht nur ein guter Fußballer in Kirchenlaibach war, sondern auch ein begeisterter Sportflieger. Er hatte diese Leidenschaft mit Heinz Hoffmannbeck geteilt und uns deshalb vor einigen Wochen ein Bild mit dem Segelflieger geschenkt. An diesem Sonntagnachmittag fiel das Bild aus dem Rahmen. Zur gleichen Stunde war Manfred Strößenreuther mit seiner Maschine tödlich abgestürzt!

Walter Jens' Bild

An eine Begegnung erinnere ich mich mit besonderem Nachdruck. Im Juni 1989 hatte mir Walter Höllerer eine doch relativ exklusive Begegnung mit Walter Jens in unserer Sulzbach-Rosenberger Redaktion ermöglicht. Das war natürlich ein ganz besonderer Höhepunkt, bei dem mir der Literat erzählte, dass er in seinem Arbeitszimmer ein Bild von einem berühmten Philosophen hängen habe. Als sehr viel später sein Sohn zu einem Vortrag bei uns in der Region war, erzählte er, dass sein Vater das Bild gegen Ende seines Lebens nicht mehr erkannt habe: Alzheimer! Auch Geistesriesen bleiben nicht verschont!

Grüße eines Verstorbenen

Natürlich hat man als Zeitungsredakteur Begegnungen mit vielen Politikern, auch mit viel Prominenz. Für mich waren das unter anderem Willy Brandt, Helmut Kohl, Hans-Jochen Vogel, Gerhard Schröder, Kurt Biedenkopf, Max Streibl, Horst Seehofer und die Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, Johannes Rau und Roman Herzog sowie die Schriftsteller Walter Jens und Dieter Hildebrandt. Mit Johannes Rau gab es von mir eine kurze, aber auch sehr persönliche Begegnung in Berlin. Ich war seinerzeit als Mitglied des Deutschen Presserats mit eingeladen zu einer Begegnung mit dem Bundespräsidenten in Berlin. Der Termin war ein halbes Jahr vorher festgelegt worden, sodass ich beim Heimatbesuch von Hans Schwemmer, Apostolischer Nuntius in Papua-Neuguinea, ihn darüber informieren konnte. Da er auch seinerzeit in Rom mit Rau relativ enge Kontakte geknüpft hatte, bat er mich, ihm Grüße auszurichten. Dann geschah das Furchtbare: Hans Schwemmer verstarb nach seiner Rückkehr in Neuguinea. Als wir uns vom Presserat mit dem Bundespräsidenten im Schloss Bellevue trafen, ging ich nach Ende unserer Zusammenkunft auf Rau zu und sagte: „Herr Bundespräsident, ich habe die traurige Pflicht, Ihnen die Grüße eines Verstorbenen auszurichten.“ Ich sah, wie ein Ruck durch die Person des Präsidenten ging und er sich mir zuwandte und mir mitteilte, dass er am Vormittag bereits an den Bruder des Verstorbenen ein Beileidsschreiben abgesandt hatte.

Autogramm von Kanzler Schmidt

Ein besonderer Tag war der Besuch von Kanzler Helmut Schmidt in Weiden, den Ludwig Stiegler eingefädelt hatte. Ich war damals schon im politischen Ressort tätig und hatte ein Begrüßungsbild mit dem berühmten Haifisch-Lächeln Helmut Schmidts auf der ersten Seite platziert und einen recht emotionalen Begrüßungstext dazu geschrieben. Schmidt war ein Medien-Profi. Während der Festveranstaltung ließ er sich mit dem Titelblatt fotografieren und fragte den damaligen Landrat Christian Kreutzer, ob das denn eine gute Zeitung sei. Der Landrat spielte mit und sagte: „Natürlich eine gute Zeitung!“ Später schickte ich ein Foto zu Ludwig Stiegler nach Berlin, um es von Helmut Schmidt signieren zu lassen. Das Foto kam und kam einfach nicht zurück. Ludwig Stiegler schob es so lange hinaus, bis im Bundestag die Abstimmung über das Misstrauensvotum erfolgte. Heute ist das Foto (vom Profi Josef „Jupp“ Heinrich Darchinger geschossen) mit dem letzten Autogramm des Bundeskanzlers Helmut Schmidt in meinem Privatbesitz. Es bleibt natürlich unverkäuflich!

Dramatische Flucht

Ein weltpolitisches Ereignis von besonders emotionaler Wucht war der Einmarsch der Warschauer Paktstaaten in die Tschechoslowakei am 21. August 1968. Drei junge Redakteure hatten Wohnungen unweit der Seltmannstraße. Da ging es abends oft etwas lustig zu. Auch Damen-Besuch war nicht streng verboten. So ergab es sich, dass am späten Abend beim Anhören von Schallplatten und dem Umschalten auf Nachrichten um 23 Uhr die Nachricht vom Einmarsch in Prag wie ein Donner auf uns niederging. Ich rief sofort Chefredakteur Felix Hartlieb an, der sich um ein Extrablatt kümmerte und mich zusammen mit Heinz Hoffmannbeck an den Grenzübergang bei Waidhaus kommandierte. Im Rückblick liegt die Vermutung nahe, dass wir das erste Extrablatt in Deutschland herausgebracht haben. Mit Heinz Hoffmannbeck fuhr ich schließlich an die Grenze nach Waidhaus, wo es eine dramatische Fluchtszene gab. Ein junger Tscheche war wie unabsichtlich über einen Hang heruntergewandert und fing plötzlich zu laufen an. Man spürte: Da rennt einer um sein Leben! Tschechische Grenzer wollten ihn wohl aufhalten, mit gezogenen Pistolen, schafften es aber nicht. Der junge Mann landete in der Freiheit. Es war der 22-jährige Pavel Fidermák, den es nach Nordrhein-Westfalen zog, der aber nach mehr als einem Jahrzehnt in seine Heimat zurückkehrte. Dank unseres Redakteurs Jürgen Herda, der tschechische Wurzeln hat, kam es vor einigen Jahren zu einem recht emotionalen Wiedersehen in Weiden.

Die Atmosphäre erinnert an Tschechows Kirschgarten, auch wenn Pavel Fidermák lieber Sliwowitz brennt: Der Mann, der vor 50 Jahren den Eisernen Vorhang überwand, wohnt keine 60 Kilometer von Weiden im Dorf Dubec. Bild: jrh
Die Atmosphäre erinnert an Tschechows Kirschgarten, auch wenn Pavel Fidermák lieber Sliwowitz brennt: Der Mann, der vor 50 Jahren den Eisernen Vorhang überwand, wohnt keine 60 Kilometer von Weiden im Dorf Dubec.
Waidhaus19.08.2018

Attentat auf John F. Kennedy

Ein Ereignis, dass uns in ganz besonderer Weise bewegte, war das Attentat auf John F. Kennedy. Seinerzeit, also im Jahr 1963, hatte „Der neue Tag“ seinen Stammsitz noch in der Ringstraße 5. Am 22. November wurde im Evangelischen Vereinshaus das Drama von Eugene O’Neill „Trauer muss Elektra tragen“ gespielt – ein Drama-Stück über den US-Bürgerkrieg 1861 bis 65. Als wir Volontäre uns in der Redaktion trafen, um gemeinsam ins nahe Vereinshaus zu gehen, stürzte Politik-Chef Hermann-Joseph Konze aus dem Fernschreiber-Zimmer mit der Eilmeldung heraus. Auf der als besonders wichtig deklarierten Meldung mit Eil-Eil bezeichnete Meldung stand: „Attentat auf Kennedy – Blut auf der Stirn des Präsidenten“. Verstört gingen wir fünf Volontäre die 500 Meter hinüber ins Vereinshaus. Gegen Ende des ersten Aktes der Aufführung sagte der Brigade-General im Stück: Die Ermordung des Präsidenten ist eine entsetzliche Tatsache (und meinte den Tod Abraham Lincolns am 12. April 1865). In der Pause liefen wir sofort in den Verlag hinüber: Kennedy war bereits tot! Zurück ins Vereinshaus! Niemand wusste Bescheid. Damals gab es weder Handys noch andere Kommunikationsmöglichkeiten. Nach der Pause trat danach OB Hans Schelter auf die Bühne: „Meine Damen und Herren! Ich muss Ihnen eine fürchterliche Mitteilung machen. Der amerikanische Präsident John F. Kennedy, ein großer Freund Deutschlands, ist soeben einem Attentat erlegen.“ Durch den ganzen Saal stürzte ein Geräusch wie ein gepeinigter Aufschrei, eine Woge, einem Wellenbrecher gleich. Ein unglaublicher Moment. Wer dabei war, wird es nie vergessen. Dieser Jahrhundert-Mord hat in Weiden seine ganz eigene Augenblick-Realität gehabt und seine eigenen Spuren gegraben.

Schüsse in Weiden

Im Jahr darauf kam ich in die Redaktion Eschenbach-Kemnath und unter die Fittiche von Heinz Hoffmannbeck, ein Mann von mehr als drei Zentner Lebendgewicht, aber viel und behändig unterwegs. An einem Abend rief er mich an. Ein Taxifahrer war am Stadtrand von Weiden von einem US-Soldaten erschossen worden.

Der Soldat war auf der Flucht. Hoffmannbeck und ich fuhren nachts um 3 Uhr hinaus in Richtung Grafenwöhr, weil angenommen wurde, dass sich der Täter in Richtung US-Lager absetzen wollte. Es gibt schönere Augenblicke als nachts durch Oberpfälzer Waldlandschaften zu fahren und jeden Augenblick gewärtig zu sein, einem bewaffneten Killer gegenüberzustehen. Heinz Hoffmannbeck, der später Sportredakteur wurde und bei der SpVgg Weiden eine gewichtige Rolle in der Vorstandschaft spielte, war eine dominante Persönlichkeit.

Bei seiner Beerdigung, viele Jahre später, würde ich dann in einem Nachruf am Grabe sagen: Er genoss bei den Polizeibeamten in der Region eine Hochachtung, als ob es sich bei ihm um den bayerischen Innenminister persönlich handeln würde. Und diese Äußerung war keineswegs übertrieben.

Tragödie am Kitzsteinhorn

Die erschütterndste Tragödie, die uns in der mittleren Oberpfalz betraf, trug sich in den Alpen zu. Im November des Jahres 2000 waren Oberpfälzer Wintersportler, also fast alles relativ junge Leute, unterwegs in den Alpen. Die Seilbahn am Kitzsteinhorn wurde für sie zur tödlichen Falle: 20 Menschen aus dem Landkreis Amberg-Sulzbach wurden zu tödlichen Opfern in der Feuerhölle am Kitzsteinhorn.

OnetzPlus
Vilseck06.11.2020

Deutsche Einheit

Der aufmerksame Leser wird vermissen, dass hier das vielleicht größte Ereignis der jüngsten Vergangenheit, die deutsche Wiedervereinigung, nicht gewürdigt wird. Tatsache ist, dass ich mich zu diesem Zeitpunkt in New York befand und deshalb dieses historische Ereignis nicht zu meinen direkten redaktionellen Bezügen rechne.

OnetzPlus
Weiden in der Oberpfalz02.04.2020
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