Der viele Jahre in Winklarn unterrichtende Lehrer Johann Metzler, an den heute eine Straße im Markt erinnert, hinterließ in seinem 1926 erschienenem Buch über "Winklarn und dessen Umgebung" ein regionalgeschichtliches Juwel, das tiefe Einblicke in das Leben und die Entwicklung der Region zur damaligen Zeit gewährt.
"Vor dem großen Brande 1822 wohnte bis kurz vor 1900 auf dem Pfarrkirchenturme in Winklarn in dem Oktaederbau unterhalb der Kuppel der Türmer mit seiner Familie", schreibt der 1935 verstorbene Chronist. Bei Gefahr hatte der Türmer durch unterschiedliche Glockensignale zu warnen. Im Buch, das dem "Verein Winklarn und Umgebung" mit Sitz in München gewidmet ist, ist von mehreren Generationen von Posthaltern der Familie Karl die Rede. Diese gingen bis in die 1850er-Jahre jeden Samstag von Winklarn aus nach Rötz, um Geldsachen und Poststücke abzugeben oder für die Retoure in Empfang zu nehmen.
Bahnlinie befördert die Zukunft
Wöchentlich fuhren Fuhrwerke von Winklarn nach Regensburg und Amberg, um meist landwirtschaftliche Erzeugnisse wie Kartoffeln und Hafer zu liefern und im Gegenzug Waren für die örtlichen "Kramerläden" mitzubringen. Nach Cham und Straubing, wo die Winklarner Bäcker auf dem Getreidemarkt einkauften, gab es eine weitere Verbindungsachse. Als 1858 erstmals von Oberviechtach her die Kariolpost (leichter einspänniger ein- oder zweiachsiger Briefpostwagen) kam, war der ganze Markt auf den Beinen, um die Sensation zu bestaunen. Dann ging es Schlag auf Schlag. 1861 erfolgte die Fertigstellung der Bahnlinie Schwandorf nach Furth im Wald. Von da an lief der gesamte Post- und Lieferverkehr von Winklarn und den umliegenden Märkten aus über Neunburg nach Bodenwöhr zur Bahnstation. Als 1895 die Lokalbahn von Bodenwöhr nach Neunburg in Betrieb ging, rückte die große, weite Welt ein Stück näher an das Oberviechtacher Land heran. Produkte aus dem ehemaligen Holzverarbeitungswerk Rosenhof (zwischen Gaisthal und Schönsee gelegen), das Papier und Pappe produzierte, und Waren aus Schönsee, Weiding, Stadlern und Böhmen - einen "Eisernen Vorhang" gab es zu dieser Zeit noch nicht - fanden jetzt ihren Weg auf die Schiene und sorgten bei vielen Familien für eine Verbesserung der kärglichen, wirtschaftlichen Situation.
Nach und nach begann auch der Siegeszug der den Kinderschuhen entwachsenden Elektrizität. Große Mengen Holz aus den herrschaftlichen Wäldern um den Frauenstein, die zu den Besitzungen der Winklarner Grafen gehörten, wurden mit Pferdefuhrwerken zu den Verladestationen transportiert. Die an den Straßen liegenden Orte partizipierten von dieser Entwicklung.
Gerstensaft produziert
Als im Jahre 1903 die Bahnverbindung von Nabburg nach Oberviechtach in Betrieb ging, verlagerte sich der Warenverkehr in den damaligen Markt Oberviechtach. Einen weiteren Schub brachte der Weiterbau der Bahnlinie von Oberviechtach über Schneeberg bei Winklarn nach Schönsee, die 1912 ihren Betrieb aufnahm, "und zwar in einer Ausdehnung, wie man sich anfangs nicht zu denken wagte", so Metzler rückblickend in seinen Aufzeichnungen. Bis zu drei Züge verkehrten täglich. Die Wirtschaft in der Region nahm dadurch enorm an Fahrt auf. Alleine in Winklarn gab es zu dieser Zeit vier Brauereien, die Gerstensaft produzierten. Neben dem Schlossbräuhaus und dem Kommunbräuhaus gab es die jüngeren, mit Dampfbetrieb arbeitenden Brauereien Thammer und Betz.
Als ein aktuelles Ausflugsziel der Marktgemeinde bietet sich auch der von Metzler initiierte Kreuzweg am Kalvarienberg (Richtung Zengeröd) an.
Die elektrische Revolution kommt auf Raten in den Altlandkreis Oberviechtach
Studentinnen erforschen ehemalige Thammer-Brauerei
Winklarn: Früher und heute
- Bevölkerung: 1822 (zur Zeit des großen Brandes) etwa 1000 Einwohner; 1857: 951 Einwohner; 1925: 752 Einwohner; 1970: 1530 Einwohner; 2000: 1454 Einwohner; 2020: 1364 Einwohner.
- Wien: Viele Winklarner wanderten nach Wien aus, so dass man etwas übertrieben sagte „in Wien wären mehr Winklarner als in Winklarn“ (Metzler, Seite 46).
- München: Laut Metzler hat es in München „nicht weniger Winklarner als in Winklarn selbst“ gegeben (Metzler, Seite 46).
- Amerika: Einige Familien aus dem Gemeindegebiet Winklarn wanderten in die USA aus.
- Im Jahr 1946 wurde ein Teil der aufgelösten Gemeinde Nunzenried nach Winklarn eingegliedert. Am 1. Januar 1972 erfolgte die Eingemeindung der vormaligen Gemeinden Muschenried, Haag, Schneeberg und Pondorf in die Marktgemeinde.
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