Mit 61 der dritte Versuch, vom Alkohol loszukommen

Amberg
18.05.2022 - 09:10 Uhr
OnetzPlus

Zweimal hat Paul alles verloren – den Führerschein, seine Ehe. Er ist Alkoholiker. Mit 15 trank er sein erstes Bier. Mit 61 versucht er zum dritten Mal, trocken zu bleiben. Sein Appell an alle, denen es geht wie ihm: Lasst euch helfen.

Paul will von seiner Alkohol-Abhängigkeit erzählen – um anderen Betroffenen zu helfen. Er möchte dabei aber anonym bleiben. Deshalb haben wir seinen Namen geändert und verwenden ein Symbolbild. Die Redaktion hat mit Paul in der Fachambulanz für Suchtprobleme der Caritas in Amberg gesprochen.

Weiß ein Alkoholiker nicht, dass er ein Problem hat? Paul (Name geändert) sagt: Nein. "Wenn man regelmäßig trinkt, weiß man, dass was nicht mehr stimmt. Ich hab' das auch immer gewusst. Ich habe aber nichts mehr machen können, weil ich schon so in der Alkoholabhängigkeit drin war. Wenn man das nicht rechtzeitig kontrolliert, wird es eine unendliche Geschichte." Der 61-Jährige weiß, wovon er spricht. Er steckt noch mitten drin in seiner eigenen unendlichen Geschichte. Gerade versucht er zum dritten Mal, langfristig trocken zu bleiben. Er hat es schon mal geschafft – 19 Jahre ohne Alkohol. Dann, nach einer Grillparty, reichten 15 Bier am Tag nicht mehr. Jetzt lässt sich Paul in der Suchtambulanz der Caritas helfen. Hier erzählt er seine Geschichte: Vielleicht kann er damit ja anderen helfen.

Mit 15 das erste Bier

"Ich hatte eine Familie", sagt Paul. Sein Sohn ist heute 34. Der Vater hat inzwischen die zweite Scheidung hinter sich: "Das ist die Folge des Alkohols." Paul war 15, als er sein erstes Bier getrunken hat. Damals, als Elektriker-Lehrling auf der Baustelle. Schnell gehörte das Seidel auch privat dazu. Bei Party und Musik mit den Kumpels "war natürlich immer ein Kasten Bier dabei". Paul sinniert: "Wenn ich überlege, war ich immer der, der eine Halbe mehr trinkt." Er weiß noch genau, wann er seinen ersten Vollrausch hatte. Eine viertel Flasche Whiskey mit Cola, bei einem Freund im Garten. "Da hat's mir die Füße weggezogen." Der Freund und seine Eltern machten sich Sorgen. Als Paul zu sich kam, war's ihm peinlich. "Das hätte damals schon ein Warnschuss sein sollen", meint er heute. Aber er hat ihn nicht gehört.

Tagsüber "zwei, drei Bier" bei der Arbeit: "So hat sich der Alkohol in mein Leben geschlichen. Und er hat mich da auch schon hergebremst." Paul fragt sich heute, wie er es damals überhaupt ins dritte Lehrjahr geschafft hat. Dann war Schluss: "Als ich 18 war, hab' ich die Lehre hingeschmissen. Da hätte ich noch knapp ein halbes Jahr gehabt." Der Chef sprach ihn darauf an, Paul sagte ihm, er sei sicher, dass er die Gesellenprüfung nicht schaffen würde – und durfte weiter in der Firma arbeiten.

2,24 Promille auf dem Mofa

"Ich hab' gutes Geld verdient." Dann musste er zur Bundeswehr, aus 1700 Mark Lohn wurden 220 Mark Wehrsold, nach der Grundausbildung 600 Mark. "Da ist nix übrig geblieben." Paul betont, "ich will nicht sagen, dass die Bundeswehr schuld daran war, dass ich getrunken habe". Aber sein Alkoholproblem habe sich in dieser Zeit verfestigt. Mit 22 verlor er zum ersten mal seinen Führerschein. Das Auto war kaputt, er wurde mit 2,24 Promille auf dem Mofa erwischt. "Wenn ich zurückdenke: Sich diesen Promillewert antrinken und glauben, noch fahren zu können... Da hätte es schon klingeln müssen."

Mit 25 heiratete Paul zum ersten Mal. Der Sohn war ein Wunschkind. Die Geldsorgen blieben. "Es hat immer gezwickt." Trotzdem ging Paul weiter regelmäßig ins Wirtshaus. "Meinen Frühschoppen hab' ich mir nicht nehmen lassen." 1985 wurde ihm zum zweiten Mal der Führerschein gezwickt – "mit 1,4 Promille am helllichten Tag". 1987 wurde Paul aus der Bundeswehr entlassen, nahm einen Job bei einer Firma an. Der Alkohol blieb sein Begleiter. "Ich war ein Wirtshaushockl. Da hab' ich mein Geld hin getragen." Bis es seiner Frau zu dumm wurde: Scheidung.

Morgens Bier statt Kaffee

In den 90ern stieg Pauls Konsum dramatisch. "Früh um 5 Uhr hab ich schon das erste Bier getrunken. Statt Kaffee. Und danach rund um die Uhr." Dann griff er sogar zu Tricks. "Ich hab' das Bier warm gestellt. Dann trinkt es sich besser." Er brauchte seinen Pegel, "damit die Hände nicht mehr zittern, bis ich in der Arbeit bin". Damals merkte Paul, "dass ich ein Problem hatte": Mit 34 war er am Ende. Aufgeschwemmt vom Alkohol, 100 Kilo schwer. "Das Aufstehen ist mir schwer gefallen. Und das Weiße in meinen Augen war gelb." Gicht, Leberprobleme, Bauchspeicheldrüsenentzündung. Paul kam ins Krankenhaus. "Da war ich mal sechs Wochen ohne Alkohol." Der Stationsarzt warnte ihn, er dürfe jetzt nichts mehr trinken, sonst könnte es ihn das Leben kosten. Paul glaubte, es besser zu wissen: "Mich haut nix um", sagte er – und fing wieder an zu trinken.

12 bis 15 Bier jeden Tag. Paul trank jetzt heimlich, auch in der Arbeit. "Der Alkoholiker versucht, sein Problem zu vertuschen. Aber er weiß, dass er eins hat", sagt er. Jahrelang versuchte er, aufzuhören. Er schaffte es nicht. "Der Alkohol hat so eine Macht – das ist für Außenstehende nicht nachvollziehbar." Heute weiß Paul: "Da kommt man alleine nicht raus." Aber er weiß auch: "Das schwierigste ist es, einen Alkoholiker dazu zu bringen, dass er sich helfen lässt."

Bei ihm kam diese Hilfe aus einer überraschenden Ecke. Und sehr drastisch. Meister, Betriebsrat, Schichtführer, Vertrauensmann und Chef zitierten ihn ins Büro, setzten ihm ein Ultimatum für eine Therapie. Fünf gegen einen – Paul gab auf. "Vielleicht ist mir auch ein Stein vom Herzen gefallen, weil ich ja schon seit Jahren aufhören wollte. Deshalb hab' ich nicht mehr überlegt, wie ich mich rauswinde. Ich hab' eingewilligt. Und mein Chef hat gleich meinen Arzt angerufen und mir einen Therapieplatz besorgt."

Wichtig: Drüber reden

Danach war Paul entschlossen, trocken zu bleiben. "Ich hab' wirklich nichts mehr getrunken. Es ging mir gut." Seine zweite Frau und er glaubten: "Wir schaffen das". Es klappte tatsächlich. Paul ging in kein Wirtshaus, auf keine Kirwa, zu keiner Geburtstagsfeier. "Ich hab' mich selber weggesperrt." Zur Suchtberatung und zu den Anonymen Alkoholikern wollte er nicht. "Ich wollte nirgends hingehen und über den Alkohol reden. Heute bin ich schlauer: Es ist wichtig, darüber zu reden. Das hilft wirklich."

19 Jahre war Paul trocken. Machte sogar den Taxischein. Und den Sportpilotenschein. "Dann kam das verdammte Jahr 2017." Bei einem Grillfest griff Paul wieder zum Bier. "Ich hab drei, vier Pils getrunken. Ich dachte, mir passiert nichts. Ich kann das kontrollieren." Er konnte es nicht. Der Alkohol hatte ihn schnell wieder im Griff, "die Geschichte hat sich wiederholt."

Wodka im Bier

"Jeden Tag 15 Bier, das schafft auch ein Alkoholiker auf Dauer nicht", so viel könne man mengenmäßig gar nicht trinken. Also schüttete Paul sich Wodka ins Bier. Seine zweite Frau drohte, sie würde gehen, wenn er nicht aufhöre. "Ich dachte, das ist mir recht, dann ist sie weg und ich kann trinken. Der Alkohol hat mir gesagt, wo's hin geht." 2020 war es so weit. "Frau weg, Führerschein weg – ich hab' alles an die Wand gefahren." Paul ging zur Suchtambulanz der Caritas. "Auf eigenen Antrieb: Ich wollte meinen Führerschein zurückhaben." Die Corona-Pandemie machte die Beratung schwierig, aber hilfreich.

Paul hat acht Wochen Entwöhnungstherapie hinter sich. "Jetzt bin ich wieder 18 Monate trocken. Und froh, dass ich die Kurve nochmal gekriegt hab'." Davon wollte er erzählen. Und durch seine Geschichte anderen Betroffenen klar machen, dass sie es alleine nicht schaffen. "Ein Alkoholiker muss sich helfen lassen, sein Problem eingestehen. Ich hab's zweimal alleine versucht – und es nicht geschafft." Jetzt nimmt er die Hilfe der Caritas an. Und weiß: "Es braucht viel Mut und Kraft", um mit dem Alkoholproblem leben zu können. Aber ohne Alkohol.

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Amberg20.05.2022

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Selbsthilfe-Gruppen

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  • Sie lernen, ohne Alkohol
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Alkohol-Abhängigkeit ist eine Krankheit

  • Ärzte können diese Krankheit behandeln
  • Es gibt Krankenhäuser
  • Abhängige können dort einen Entzug machen

Die gute Nachricht

  • Die Behandlung einer Alkoholabhängigkeit ist in jedem Stadium sinnvoll und hilfreich

Quelle: DHS, Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V.

Sulzbach-Rosenberg27.04.2020
 
 

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