Wie aus Faulgasen wertvolles Methan für die Energieversorgung werden kann

Amberg
23.03.2023 - 11:32 Uhr

Reden wir von Erneuerbaren Energien, denken wir an Wind- oder Solarenergie. Die Erlanger Juniorprofessorin Katharina Herkendell erweitert bei den Erlanger Universitätstagen unseren Horizont um eine weiteres Element: die Bioelektrochemie.

Bis vor einem Jahr hat sich so ungefähr niemand für die Frage interessiert, ob es möglich sein wird, unsere Energieversorgung zu 100 Prozent auf erneuerbare Beine stellen zu können. Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine hat sich das schlagartig geändert. Nun sind wir alle kleine Energieexperten, reden über den Wirkungsgrad dieser oder jener Art der Stromerzeugung, lesen gescheite Interviews mit Wissenschaftlern, deren Namen wir bis Februar 2022 noch nicht gehört hatten – und wir interessieren uns für deren Forschung. Die uns zwar immer noch irgendwie fremd ist, uns aber umso wichtiger erscheint, je weiter die Füllstände in den Gasspeichern sinken.

Eine der Wissenschaftlerinnen, die schon seit Jahren an den Möglichkeiten forscht, welche die Biochemie in unserem künftigen Energiemix spielen wird, ist Katharina Herkendell, Juniorprofessorin für Dezentrale Energieverfahrenstechnik an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen. Und schon sind wir mitten drin im vierten Vortrag der Erlanger Universitätstage zum Thema Nachhaltigkeit. Katharina Herkendell wagt die heute noch kühn erscheinende Aussage: "Es ist bis 2040 möglich, eine CO2-freie Energieversorgung zu schaffen." Und zwar weltweit, wo heute noch rund 85 Prozent aller erzeugten Primärenergie aus dem Dreigestirn Kohle, Erdgas und Erdöl stammt.

Fossile Stoffe sehr begrenzt

Übrigens sehr endliche Stoffe, wie Katharina Herkendell deutlich machte. Auf Basis der heute bekannten Vorräte reicht das Erdöl noch für 48 Jahre, beim Erdgas sind es 44 Jahre. Steinkohle wäre allerdings noch einige da, mit ihr könnten wir noch 118 Jahre rechnen, wenn wir denn wollten. Auch jenseits des menschengemachten Klimawandels also Gründe genug, sich über eine nachhaltige und dezentrale – da demokratische – Energieerzeugung Gedanken zu machen. Beispielsweise durch Atomenergie, auf die unter anderem Frankreich setzt? Nun, auch das ist laut Herkendell – abgesehen von der Tatsache, dass den Franzosen gerade wegen der anhaltenden Trockenheit das Kühlwasser für ihre Reaktoren fehlt – auch eine Frage begrenzter Ressourcen. Eine Rechenaufgabe: Würden wir unseren Energiebedarf zu 100 Prozent über Atomreaktoren decken, reicht das vorhandene Uran gerade einmal für drei Jahre Betrieb.

Es führt also kein Weg dran vorbei: Wir brauchen Sonne, Wind und Wasser – und noch viel mehr, um den immer noch steigenden Energiehunger unserer Gesellschaft zu decken. Wobei laut Professor Katharina Herkendell ja immer noch und verstärkt das Postulat gilt, das 1997 Ernst Ulrich von Weizsäcker, Amory B. Hunter und L. Hunter Lovins in "Faktor Vier", ihrem Bericht an den Club of Rome, aufgestellt haben: Wir müssen unseren Wohlstand verdoppeln und dabei den Naturverbrauch halbieren. Bis dahin aber forschen Wissenschaftler auf der ganzen Welt nach Möglichkeiten, Energie zu produzieren, ohne dabei schädliche Treibhausgase freizusetzen. Eine Möglichkeit ist dabei laut Katharina Herkendell die Biochemie, die unter anderem dort zur Anwendung kommen kann, wo ungenutzter "Reststrom" – beispielsweise aus Windanlagen anfällt.

Methan als Erdgasersatz

An dieser Stelle wird es ziemlich wissenschaftlich und vor allem chemisch. Es geht um Enzyme, um Anoden und Kathoden. Kurz gesagt, versuchen die Wissenschaftler der FAU in Erlangen gemeinsam mit Partnern anderer Forschungseinrichtungen die Effizienz von Systemen zu steigern, bei denen Faulgase entstehen: Biogasanlagen oder Klärwerke. Mit Hilfe der Enzyme und des Reststroms können die Gärprozesse im System beschleunigt werden – derzeit um das zehn- bis 15-fache. Gleichzeitig ist es dadurch auch möglich, nahezu reines Methangas zu gewinnen. Das wegen seiner hohen Treibhaus-Eigenschaften zwar auf keinen Fall in die Atmosphäre gelangen darf, als Erdgas-Ersatz aber in das bereits vorhandene Versorgungsnetz eingespeist und verbrannt werden kann. Wobei man in Erlangen gerade nach Möglichkeiten forscht, das dadurch anfallende Kohlendioxid ebenfalls schon bei der Verbrennung abzuscheiden und einzulagern.

Die Vorteile dieses Systems liegen auf der Hand: Es ist ungiftig und biologisch abbaubar. Es sind dafür niedrige Temperaturen und niedriger Druck erforderlich. Es besitzt eine hohe Toleranz gegenüber Verunreinigungen. Es hat eine hohe Selektivität (es wird bei der chemischen Reaktion bevorzugt ein Produkt, nämlich Methan, gebildet) und nur wenige Nebenprodukte. Und es kann theoretisch unbegrenzt Energie erzeugen. Ein weiterer Vorteil wäre, dass die Energieversorgung auf diese Weise sehr dezentral angelegt würde. Die Abhängigkeit von großen Versorgern also deutlich zurück ginge. Was eine Demokratisierung der Stromversorgung zur Folge hätte, sagt Katharin Herkendell.

Aus Abfall Strom machen

Biochemie, so die Erlanger Juniorprofessorin, bietet darüber hinaus die Möglichkeit, überflüssigen Strom zu speichern und damit auch seinen Transport möglich zu machen. Einerseits durch die Erzeugung des Biomethan, wie oben beschrieben. Oder durch Einlagerung der Energie in Chemikalien. Oder aber durch die Schaffung von alternativen Kraftstoffen. Die inzwischen wegen der Diskussion um die sogenannten e-Fuels auch jedem geläufig sind. Wobei Herkendell deutlich machte, dass sie es für ziemlichen Nonsens hält, aus Strom e-Fuels zu machen und diese dann in Pkw-Motoren zu verbrennen. "Wir wissen, dass wir mit reiner Elektroenergie weiter kommen als mit e-Fuels." Sinnvoll hingegen hält sich solche aus nachhaltigen Energien gewonnenen Kraftstoffe dort, wo die elektrische Alternative kaum oder überhaupt nicht möglich ist: im Flug- oder Schwerverkehr sowie in der Schifffahrt.

Und die Zukunft in der Zukunft? Wohin geht die Forschung der Biochemiker? Ein Schlagwort lautet hier: Waste to X. Also die Verwertung von allem, was an menschlichem Abfall anfällt, für die Erzeugung von Energie. "Wir sehen hier Rest- und Abfallstoffe als Ressource", sagt Katharina Herkendell. Und der aktuelle Stand der Forschungen? Sie geht in großen Schritten voran. "Wir sind in den meisten Fällen aber noch nicht konkurrenzfähig", sagt die Erlanger Professorin. Das kann sich aber sehr schnell ändern.

Hintergrund:

Das Programm der 44. Erlanger Universitätstage

  • Dienstag, 28. Februar, 19.30 Uhr: Prof. Dr. Wolfgang Kießling: "Nachhaltigkeit für Biodiversität und Klima".
  • Dienstag, 7. März, 19.30 Uhr: Prof. Dr. Markus Beckmann: "Bis es kippt: Warum wir bestimmte Tipping Points verhindern und andere herbeiführen wollen".
  • Dienstag, 14. März, 19.30 Uhr: Professor Johannes Barth: "Wasser, Klima und Nachhaltigkeit".
  • Dienstag, 21. März, 19.30 Uhr: Prof. Dr. Katharina Herkendell: "Bioelektrochemie: Chancen für nachhaltige Energiesysteme".
  • Dienstag, 28. März, 19.30 Uhr: Prof. Dr. Kai-Ingo Voigt und Lauren Mackintosh: "Nachhaltige Innovationen und Konsumentenverhalten".
  • Alle Vorträge finden bei freiem Eintritt im Großen Rathaussaal in Amberg statt.
 

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