Amberg
05.07.2023 - 16:54 Uhr

Licht und Schatten des "Leuchtturm-Menschen" Oskar Schindler

Ein Hollywood-Blockbuster hat Oskar Schindler zur Legende gemacht. Autor Tim Pröse hat sich tiefergehend mit dem facettenreichen Leben des Helden aus Holocaust-Zeiten auseinandergesetzt und erzählt davon in der Stadtbibliothek Amberg.

Oskar Schindler war ein Lebemann und ein Lebensretter, so Tim Pröse gegenüber Oberpfalz-Medien: „Er hat das Leben intensivst gelebt und dafür auch bezahlt. Vielleicht hatte er deswegen so sehr das Herz für die Leben der anderen, vielleicht hat er sie deswegen gerettet – weil er ein Mann des Lebens war.“

Auch bei Pröse weckte der berühmte, vor 30 Jahren ins Kino gekommene Steven-Spielberg-Film „Schindlers Liste“ das Interesse an der Person Oskar Schindler. „Es war eine Initialzündung in meinem Leben. Ich hatte den dringenden Wunsch damals schon, irgendwann mal über diesen Mann zu schreiben, seine Spuren zu verfolgen.“

Die Witwe Emilie Schindler sowie Jerzy Gross, den letzten Überlebenden der berühmten Liste, kennengelernt zu haben, betrachtet der Journalist, dessen Bücher auch auf den Spiegel-Bestsellerlisten zu finden ist, als Glück. Gross sei es auch gewesen, der ihm den Menschen Schindler nahegebracht habe.

Eine persönliche Begegnung musste Wunschtraum bleiben, Pröse war erst vier Jahre alt als Oskar Schindler starb. „Aber wäre ich damals schon Journalist gewesen, wäre es vielleicht die Geschichte meines Lebens geworden. Vielleicht hätte ich ihm helfen können, dass er wieder bekannt wird, dass er nicht vergessen in Deutschland sterben muss, vergessen von seinen eigenen Leuten. Wie gerne hätte ich ihn besucht“. Letzteres tut Pröse heute in gewisser Weise aber doch, wenn er vor Schindlers letzter, winziger Wohnung am Hauptbahnhof in Frankfurt am Main innehält.

Denkmäler aus Zeilen

Und er errichtet „kleine Denkmäler aus Zeilen“ für Schindler und andere seiner „Lieblingsmenschen“: „Diese Menschen sind mein Leben, bedeuten und bereichern mein Leben. Es sind Leitfiguren, Leuchtturm-Menschen“, so Pröse. Oskar Schindler sei ein Retter gewesen, nicht nur von 1200 Juden, sondern auch eines Stückes der verlorengegangen Seele unseres Landes, befindet der Biograf und zitiert dazu Udo Lindenberg: „Diese Menschen trugen ein Licht in sich, wir dürfen nicht ihre Asche anbeten, sondern sollen ihr Feuer weitertragen.“

Schindlers Spuren in der Region

Oskar und seine Frau Emilie Schindler lebten eine Zeit lang in Regensburg, gerüchteweise soll Schindler auch kurze Zeit in Weiden gewohnt haben. Über einen besonderen Schatz verfügt das Staatsarchiv Amberg: den Spruchkammer-Meldebogen der Schindlers. Das Formular dürfte das erste amtliche Dokument sein, in dem Schindler seine Rettungsaktion erwähnte.

Pröses als szenische Lesung und Vortrag angekündigte Hommage am 12. Juli in der Stadtbibliothek Amberg soll „verborgenen Erinnerungen an einen Helden“ nachspüren.

Pröses als szenische Lesung und Vortrag angekündigte Hommage soll „verborgenen Erinnerungen an einen Helden“ nachspüren. Aber haben die vergangenen dreißig Jahre seit „Schindlers Liste“ nicht schon alles ans Licht gebracht? Pröses Portrait will alle Facetten zeigen, darunter auch die Schattenseiten: „Er war ein vielschichtiger, aber auch brüchiger Charakter, ein Mann, der nach dem Zweiten Weltkrieg nie wieder richtig auf die Beine kam, der scheiterte wirtschaftlich, der einen Zwiespalt in sich trug.“

Die Flamme weitertragen

Der Autor mutmaßt, dass Oskar Schindler vielleicht gerade weil er nicht normal lebte, damals den Mut aufbrachte, die Menschen aus den Todeszügen zu reißen. Sein ganzes Leben lang habe dieser Mensch gebrannt und sei auch ausgebrannt gewesen nach dem Krieg, war auf Hilfe angewiesen – davon erzähle er. Über seinen posthumen Ruhm hätte sich Schindler nach Einschätzung des Biografen unglaublich gefreut: „Er hatte sich immer danach gesehnt, anerkannt zu werden für das, was er getan hat. Er hat gehofft, dass sein Stoff verfilmt wird.“ Das klappte seinerzeit jedoch nicht, die versagte Anerkennung sei sein Schmerz gewesen. „Es ist doch ein Wahnsinn, dass jemand aus Hollywood kommen musste, um uns Deutschen unseren deutschen Helden zurückzugeben, um ihn wieder zum Leben zu erwecken. Das verdanken wir Steven Spielberg“, sagt Pröse.

Angesprochen darauf, ob ein solcher Vortrag die Erinnerung in gleichem Maße wachhalten könne wie die persönlichen Berichte der Shoah-Überlebenden, räumt Pröse ein: „Die Zeitzeugen können das natürlich besser. Wir Journalisten und Autoren können diese Menschen nur so gut, so hautnah beschreiben, sie verewigen, dass vielleicht ein Teil von ihrer Aura, von ihrem Charakter weiter strahlt.“ Stichwort Flamme weitertragen.

Eine Veränderung beim Publikumsinteresse an Holocaust-Thematiken stellt Pröse nicht fest. Er stoße vielmehr immer wieder auf neugierige, offene Menschen, die sich diesem Thema stellen: „Es wäre schlimm, wenn das Interesse abnehmen würde. Es ist das urdeutsche Thema. Gerade in diesen Zeiten, in der sich so manches wiederholt, in der die Falschen wieder auf die falschen Fährten locken wollen, müssen wir das Thema wachhalten. Das ist unsere Pflicht als Deutsche.“

Aus Schindlers Beispiel lasse sich im Übrigen lernen, dass es sich lohnt, sich mit Haut und Haaren und der ganzen Persönlichkeit für andere einzusetzen. Jeder für sich sollte sich fragen, wie kann ich mich für meinen Nächsten einsetzen – „dafür steht Oskar Schindler“.

HINTERGRUND:

Zu Person, Buch und Veranstaltung

  • Tim Pröse, freier Journalist und Autor, geboren 1970 in Essen, Studium der Kommunikationswissenschaften, Politik und Psychologie, ehemaliger Chef-Reporter der Münchner Abendzeitung, schrieb für das Reportagen-Ressort des Magazins "Focus", porträtierte u.a. Dieter Hallervorden, Mario Adorf und Jan Fedder. Tim Pröse lebt in München.
  • Jahrhundertzeugen. Die Botschaft der letzten Helden gegen Hitler. 18 Begegnungen, 320 Seiten, gebunden, Heyne Verlag, 19,99 Euro
  • Lebemann und Lebensretter - Eine Hommage an Oskar Schindler. Verborgene Erinnerungen an einen Helden am Mittwoch, 12. Juli um 19 Uhr in der Stadtbibliothek Amberg , Veranstalter KEB mit Stadtbibliothek, EBW, Bündnis Migration&Integration, Anmeldung bei der KEB, Tel. 09621/475520 oder info[at]keb-amberg-sulzbach[dot]de, nur bereits bezahlte Karten werden am Eingang hinterlegt
Weiden in der Oberpfalz01.02.2019
 
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