„Festhalten, was verbindet“ - das Motto der Bayerischen Demenzwoche trifft den Nagel auf den Kopf. Im Großen Rathaussaal in Amberg wurden jetzt politische und gesellschaftliche Akteure mit dem Alltag pflegender Angehörige konfrontiert. "Dieser Austausch", erklärte Moderatorin Kathrin Fischer vom Landesamt für Pflege, "basiert auf einem wissenschaftlichen Konzept, entwickelt an der Universität Heidelberg."
Der Zerfall im Zenit beginnt schleichend – die Diagnose erscheint urplötzlich. Ein Ehegatte, selbst im betagten Alter, plädierte auf eine frühe Erkennung der Erkrankung. Ein Appell an alle Hausärzte, die Sorgen und Ängste von Betroffenen und Angehörigen ernst zu nehmen und zu versuchen, mehr Zeit in eine Diagnose zu investieren. Vergessene Verabredungen, Veränderung in der Persönlichkeit oder Schwierigkeiten, sich auszudrücken können Warnsignale darstellen, hieß es bei der Veranstaltung.
Geduld lernen und leben seien wichtige Attribute im Zusammenleben mit Demenzkranken, wusste eine Ehefrau, die ihren Gatten pflegt. "Er möchte noch so viel selber machen, wie möglich. Manches funktioniert aber überhaupt nicht." Da kippe die Stimmung. Um die schlechte Luft zu bereinigen, gehe die pflegende Angehörige mit ihrem Mann und seinem Rollator spazieren. Gemeinsam bestaunen sie die Wiesen und Blumen. Und ihr Gemahl hätte die Chance, auf Radfahrer zu schimpfen. "Humor hilft", so die Betroffene. Zuerst pflegte sie ihre Schwiegermutter, dann den eigenen Ehemann. Die Dame arbeitete viele Jahre im Pflegeberuf. Teil der seelischen Belastung sei das Zusehen, wie ihre Angehörigen selber unter den Umständen leiden. „Vom sozialen Umfeld erntet man nur Mitleid“, erklärt sie. Es brauche aber gezielte Hilfe und Verständnis. Anerkennung, für den Dienst, der geleistet wird. Ärzte sollten sofort bei der Diagnose auf Hilfe-Organisationen aufmerksam machen. Auch eine Art Krisentelefon, spezialisiert auf Alzheimer und pflegende Angehörige, sei hilfreich.
Eine andere Dame erzählte über die Einschränkungen während der Pandemie: „Keiner konnte kommen. Niemand hat geholfen.“ Eine demenzerkrankte Person dürfe man nicht alleine lassen, so ihre Meinung. "Die Hilferufe der pflegenden Angehörigen wurden von der Politik nicht gehört." Da könne es auch passieren, dass Grenzen erreicht werden mit dem Resultat der Gewaltbereitschaft.
Polizeioberkommissar Dominik Lehner, als Vertreter seiner Zunft, erklärte, bei einem Fall der Überforderung oder Gewalt, reagiere die Polizei immer deeskalierend. Er persönlich kenne keinen Fall einer Gewaltbereitschaft gegenüber Demenzerkrankten in der Familie. Lehner ziehe aber seinen Hut vor der Leistung von pflegenden Angehörigen. Kastls Bürgermeister Stefan Braun warnte vor Selbstisolierung und Aufopferung. "Meine Frau ist beruflich in Kontakt mit Demenzkranken und deren Angehörigen. Ihre Erzählungen beunruhigen." Auch deswegen begrüßt er den Auftakt der Bayerischen Demenzwoche in Amberg als ein politischer Vertreter des Landkreises.
Apotheker Robert Winkler werde sich nun etwas überlegen, wie man seinen Kunden mehr Wertschätzung zeigen könne. Außerdem werde auch er eine Liste mit Hilfe-Organisationen erstellen, die er pflegenden Angehörigen mitgeben möchte. Ambergs Oberbürgermeister Michael Cerny möchte das Thema gesellschaftlich ausweiten, "damit der pflegende Angehörige auch zwei oder drei Stunden mit Freunden verbringen oder sich verabreden kann, um dieser Isolierung eben vorzubeugen".
Mangel an Beratung
Allgemeinmediziner Dr. Armin Rüger offenbarte die großen Ängste pflegender Angehöriger: Mangel an Beratung und Armut. Wie auch ihm schon geraten wurde, gab er den Rat weiter. „Kümmern Sie sich in erster Linie um die Angehörigen.“ Feuerwehrarzt Marc Bigalke erschütterte nach den Erzählungen, die Tatsache, dass ein Freibad-Besuch ohne die Hilfe einer dritten Person nicht möglich sei. Oder der Berg an Formulare, "die auszufüllen sind, um Pflegegrade und Anderes zu beantragen". Barbara Hernes, verantwortlich für das Seniorenmosaik Naturpark Hirschwald, weiß um die Wichtigkeit der bürgerlichen Nachbarschaftshilfe. Deswegen koordiniert sie unter anderem regelmäßige Besuchsdienste, auch mit ehrenamtlichen Kräften und den Aufbau von Netzwerken ehrenamtlicher und professioneller Angebote. Auch schnelle Lösungsansätze per Telefon, wenn dringend Rat nötig sei, biete das Seniorenmosaik an.
Das Bayerische Landesamt für Pflege konnte gemeinsam mit dem Netzwerk Gesundheitsregion plus Amberg, dem Landkreis Amberg-Sulzbach sowie der Stadt Amberg als offizielle Veranstalter eine aufklärende und respektvolle Diskussionsrunde organisieren. Mit der Intention, Verständnis zu schaffen und für Unterstützung zu werben, gelang es, wiederkehrende Probleme individuell dargestellt, auszusprechen und Gehör zu schaffen. Inwieweit das soziale Umfeld reagiert oder gesellschaftlicher Umgang verändert wird, hängt jedoch meist von der Persönlichkeit des Gegenübers ab. Für weniger Bürokratie seien Krankenkassen und Politik verantwortlich, hieß es.
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