Stein auf Stein: Handwerker bauen Königshof nach – mit mittelalterlichen Methoden

Bärnau
06.10.2022 - 15:12 Uhr
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Im Geschichtspark Bärnau-Tachov bauen Handwerker den Königshof von Karl IV. nach – ohne moderne Materialien und Werkzeuge. Nach gut vier Jahren Bauzeit steht nun das Gesindehaus – in 25 Jahren soll alles fertig sein.

Mit jedem Schlag wirbelt Armin Troppmann weißen Steinstaub auf. Er lässt sich Zeit, immer wieder pustet der Steinmetz mit einem kleinen Handblasebalg den Staub aus den Löchern im Stein. Das Geheimnis: "Nicht hämmern wie ein Verrückter." Gefühlvoll müssen die Schläge auf die achteckigen Meißel sitzen. Vier Eisenkeile stecken in diesem gut 200-Kilo-Stein, entlang dieser Linie soll er brechen. "Der Stein macht zu 80 Prozent das, was ich will." Trottmann lacht. Der größte Stein, den der 33-Jährige so gespalten hat, wog 1,2 Tonnen schwer. "Wenn alles gut läuft, muss ich drei Mal schlagen." Langsam, ganz langsam, bildet sich ein Riss. Der Stein kippt entzwei.

Video zum Nachbau des Königshofs im Geschichtspark

Man ahnt es schon: Es ist eine besondere Dauerbaustelle hier im Geschichtspark Bärnau-Tachov. Alles wird von Hand und mit selbst hergestelltem Werkzeug bearbeitet. Auf 1500 Quadratmetern entsteht hier ein Nachbau des Königshofs von Karl IV., eine Reisestation. Im Gegensatz zu einem Residenzbau ist das kein Symbol der Macht, der Hof diente eher logistischen Zwecken: Der Kaiser konnte – für damalige Verhältnisse – flott und mit kleinem Gepäck in seinem Herrschaftsgebiet umherreisen. In Bärnau hat damals zwar keine solche Reisestation gestanden, anderswo im Norden Bayerns muss es diese im 14. Jahrhundert aber gegeben haben.

Die Baustelle sei ein "experimentalarchäologisches Freiluftlabor". Es gehe nicht darum, die Bauten möglichst schnell hochzuziehen, sagt Bauleiter Armin Troppmann. "Es geht um das Experimentieren, um historische Baustoffkunde und darum, das Handwerks-Wissen von damals in die heutige Zeit zu übersetzen." Gesammelt und koordiniert wird dieses Wissen unter dem Dach der "Bauhütte Bärnau". Vergleichbar mit den Bauhütten des Mittelalters werden hier die Gewerke für die Großbaustelle koordiniert, die Baumeister sorgen für einen reibungslosen Ablauf. In der Bärnauer Bauhütte sind alle Gewerke vereint, die auch damals zum Bau des Königshofes gebraucht worden sind: Steinmetze, Zimmerer, Maurer und Schmiede. Sechs deutsche und tschechische Handwerksmeister koordinieren hier seit inzwischen vier Jahren. In 25 Jahren will der Steinmetzmeister und Natursteintechniker aus Püchersreuth (Landkreis Neustadt/WN) fertig sein. Dann soll hier, wo nun nach vier Jahren das Gesindehaus steht, der komplette Königshof von Kaiser Karl IV. stehen.

1000 Stunden Arbeit für einen mittelalterlichen Kran

Das größte Hilfsmittel auf dieser Baustelle: ein Quasi-Kran, wie es ihn auch schon im 14. Jahrhundert gegeben hat. Gut 1000 Stunden Arbeit stecken in dem Nachbau. Troppmann befestigt die eisernen Greifarme des Hebewerkzeugs am Stein, sein Kollege dreht währenddessen am großen hölzernen Rad, an dem eine Kordel befestigt ist. Langsam zieht die Kordel den Stein über den Boden, hebt ihn schließlich an. Wenn die Zange gut am Stein sitzt, könne man den "Mittelalter-Kran" auch alleine bedienen, sagt Trottmann. Zumindest bei Steinen bis zu 200 Kilogramm.

Im Gesindehaus entstehen drei Zimmer: Wohnstube, Schlafgemach und eine Werkstatt. Bis Ende des Jahres sollen Böden und Türen fertiggestellt sein. Die Wände sind mit Stroh und Lehm verputzt. "Das kostet nichts, nur Zeit und Arbeitskraft", sagt Troppmann. Das strahlende Weiß ist gebrannter Kalk, der "eingesumpft" wurde – abgelöschter Branntkalk, der zwei Jahre lang in einer Grube gelagert wurde. Nach dieser Zeit hat sich das Gemisch in eine joghurtartige Masse verwandelt. Mit Wasser verdünnt, entsteht "Kalkmilch", die tatsächlich aussieht wie Mich. "Wir haben damit das ganze Gesindehaus für gut fünf Euro gestrichen", so Troppmann. Selbst ein Einfamilienhaus könnte man für zehn Euro damit streichen, sagt er.

Um aus Kalkstein Branntkalk herzustellen, muss der Stein drei Tage lang im Ofen brennen. Danach hat er rund 30 Prozent weniger Volumen, das Gewicht bleibt gleich. Neun Kalkbrände haben die Bärnauer Handwerker schon hinter sich – das bedeutet neun Mal drei Tage lang alle 20 Minuten die glühende Ofentür öffnen und nachheizen. "Mit kurzen Hosen verbrennen einem da die Haare an den Beinen." Der 33-Jährige lacht. Kalkbrennen bedeutet also Schichtarbeit. Schon zwei Wochen vor dem Brand zünden die Handwerker immer wieder kleine Feuer, um die Feuchtigkeit im Stein schon vorab zu verringern.

Vier Stunden für vier Meter Stamm

Den Winter verbringen die Handwerker im Labor der Archaeowerkstatt oder mit der Produktion von neuem Material. Denn die Bauhütte Bärnau ist auch Lehr- und Forschungseinrichtung – auch die Universitäten Bamberg, Prag und Pilsen sind mit im Boot. Im Januar startete die Bauhütte das Projekt "Altes Handwerk neu gelernt im bayerisch-tschechischen Grenzraum", gefördert durch das bayerische Heimatministerium. Erkenntnisse aus dem Bauen mit historischen Baustoffen und Techniken sollen so in die Moderne übertragen werden. Es soll Tausend Jahre altes Wissen reaktiviert werden. "Heute findet man in den Bausäcken ja Hunderte chemische Substanzen." Auf die wird im Geschichtspark verzichtet.

Vergangenen Winter zum Beispiel hat der tschechische Schmied Adam eine Bartaxt hergestellt, mit der seitdem die Stämme bearbeitet werden. Für vier Meter Stamm braucht er vier Stunden, sagt Troppmann. Recht schnell lässt sich hochrechnen, wieviel Arbeitsstunden in diesem Projekt stecken – und was die Baustelle noch einfordern wird. "Wenn ich vier Tage Steine gespalten habe, dann verbringe ich den fünften Tag in der Schmiede." Das Werkzeug muss dann wieder auf Vordermann gebracht werden. "Wenn ich an einem Tag zehn Steine spalte, ist das ein guter Tag. Aber ich habe dann weder Eisenerz verhüttet noch geschmiedet." Die Spaten sind selbst geschmiedet, die Dauben-Eimer sind handgefertigt. Trottmann begutachtet einen Eimer. "Die sind nun gut vier Jahre alt, da müssen wir wohl bald neue herstellen."

Beton fehlt der Charakter

Aber die Handarbeit mache einen Unterschied, sagt Troppmann: Einem industriell gesägten Brett fehle das Leben. "Für das menschliche Auge ist das zu perfekt. Ein mit Werkzeug und Hammer gespaltener Stein sieht wirklicher aus." Ehrlicher sei das – ein wenig wie in der Zoiglstube, wo nicht millimetergenau verputzt sei und man den Holzbalken ansehe, dass sie von Hand behauen wurden. "So ein Boden aus Beton wird niemals Charakter bekommen."

Trottmann war dreieinhalb Jahre auf der Walz, für altes Handwerk begeistert er sich schon lange. "Ich habe mir immer gewünscht, mal im Mittelalter arbeiten zu können." Von Anfang an war er beim "Projekt Königshof" dabei. Dabei hat er in den vergangenen Jahren vor allem eines gelernt: Respekt. Selbst vor dem Bau einer kleinen Scheune. "Was da für Arbeit dahinter steckte – und heute regt man sich schon auf, wenn man länger als einen Tag benötigt, um das Gartenhaus aufzustellen." Er schüttelt den Kopf – und übt sich derweil in Geduld.

Hintergrund:

Geschichtspark und Projekte

  • Verein: Via Carolina-Goldene Straße ist Träger des Geschichtsparks Bärnau-Tachov sowie des Archaeo-Centrums Bayern-Böhmen – der Verein widmet sich dem kulturellen Austausch zwischen der Oberpfalz und Böhmen. Die Goldene Straße ist einer der bedeutendsten Handelswege des Mittelalters, auch Kaiser Karl IV. nutzte sie auf seinen Reisen von Prag nach Nürnberg
  • Geschichtspark Bärnau-Tachov: Im Jahr 2010 begann der Bau des Parks, der mit seinem Museumsdorf die Siedlungskultur der bayerisch-tschechischen Grenzregion zeigt
  • ArchaeoCentrum Bayern-Böhmen: Wissenschaft und Handwerk im Blick geht es hier um archäologische Experimente; Kooperationspartner sind Otto-Friedrich-Universität Bamberg, Karls-Universität Prag und Westböhmische Universität Pilsen
  • Bauhütte Bärnau: Kompetenz- und Forschungszentrum für historisches Handwerk und Baustoffkunde
 
 

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