Als im Sommer 1941 der deutsche Überfall auf die Sowjetunion beginnt, erweitert das auch den Zugriff des nationalsozialistischen Mordapparates auf die Osteuropäer. Es sind nicht nur die SS oder die berüchtigten Einsatzgruppen, die morden, sondern auch die Wehrmacht. Da ist der vor dem Überfall erlassene "Kommissarbefehl": Die Wehrmacht ordnete an, dass politische Funktionäre der Roten Armee sofort nach ihrer Gefangennahme erschossen werden sollen. Auf dieser Grundlage tötet die Wehrmacht rund 10.000 Gefangene.
Von den rund 5,7 Millionen Mitgliedern der Roten Armee, die in deutsche Hände fielen, überlebten mehr als 3 Millionen nicht. Die gefangengenommenen Rotarmisten wurden in den deutschen Gefangenenlagern kaum versorgt und weitgehend sich selbst überlassen. Hunderttausende starben an Krankheiten und Kälte oder verhungerten. Im Laufe des Krieges wurden aber auch immer mehr sowjetische Kriegsgefangene als billige Arbeitskräfte in Konzentrationslager gebracht. Auch im Lagerkomplex Flossenbürg wurden sie geschunden. Von den mehr als 6000 Rotarmisten, die nach Flossenbürg deportiert wurden, wurden nach Angaben der Gedenkstätte mindestens 1000 Männer und Frauen kurze Zeit nach ihrer Ankunft ermordet.
Allen Volksgruppen gewidmet
Die Ausstellung "Dimensionen eines Verbrechens: Sowjetische Kriegsgefangene im Zweiten Weltkrieg" beleuchtet das Schicksal dieser Opfer des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges im Osten Europas. „Das Besondere an der Ausstellung ist, dass sie erstmals die Gesamtgruppe der sowjetischen Kriegsgefangenen in den Blick nimmt", sagt Babette Quinkert. Die Kuratorin des Museums Berlin-Karlshorst eröffnet zusammen mit Gedenkstättenleiter Jörg Skriebeleit am Mittwoch, 15. Februar, um 18 Uhr die Ausstellung in der ehemaligen Lagerküche in der Gedenkstätte Flossenbürg (Landkreis Neustadt/WN). Daria Kozlova, wissenschaftliche Mitarbeiterin der KZ-Gedenkstätte, erläutert an diesem Abend „Schicksale sowjetischer Kriegsgefangener im Lagerkomplex Flossenbürg“.
In der Ausstellung wird deutlich, dass die sowjetische Armee mitnichten eine "russische Armee" war. Die Rotarmisten kamen aus allen Regionen und allen Volksgruppen der Sowjetunion. Dies belegen die Biografien der Menschen, deren Schicksal exemplarisch gezeigt wird. "Es kommen aber auch Personen vor, die mit den Deutschen kooperiert haben", sagt Projektleiterin Quinkert. So suchte die SS unter bestimmten Volksgruppen nach "Hilfswilligen". Einer, der auf diesem Weg in den Dienst der SS trat, war Iwan Demjanjuk. Er war im Jahr 2011 wegen seiner Beteiligung am Massenmord im Vernichtungslager Sobibor von einem Gericht in München verurteilt worden. Demjanjuk hatte auch in Flossenbürg gedient.
Zum 80. Jahrestag des deutschen Überfalls
Die Ausstellung ist von der Gedenkstätte Flossenbürg zusammen mit dem Museum Berlin-Karlshorst, der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten und dem Deutschen Historischen Institut in Moskau entwickelt worden. Zum ersten Mal wurde sie im Juni 2021 zum 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion gezeigt – im Berliner Ortsteil Karlshorst. In seiner Rede zur Eröffnung beschwor damals Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) den "Geist von Helsinki". Er erinnerte daran, dass inmitten der gegenseitigen Drohung mit nuklearer Vernichtung ein Prozess entstanden sei, "der durch Anerkennung gemeinsamer Prinzipien und durch Zusammenarbeit einen neuen Krieg vermeiden wollte und vermeiden half". Damals warnte er, Geschichte dürfe nicht zur Waffe werden. "Wenn der Blick zurück auf eine einzige, nationale Perspektive verengt wird, wenn der Austausch über unterschiedliche Perspektiven der Erinnerung zum Erliegen kommt oder verweigert wird, dann wird Geschichtsschreibung zum Instrument neuer Konflikte, zum Gegenstand neuer Ressentiments."
Als die Ausstellung zum ersten Mal zu sehen war, hieß das Museum noch Deutsch-Russisches Museum – eine Bezeichnung, die auf die Gründungsphase zurückgeht. Der damalige ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, kritisierte den Namen und blieb der Ausstellungseröffnung fern. Inzwischen hat sich das Museum unbenannt in Museum Berlin-Karlshorst, auch wegen des russischen Überfalls auf die Ukraine vom 24. Februar 2022. Zudem hat die Einrichtung, die seit einigen Jahren auch von den Ländern Belarus und Ukraine getragen wird, den russischen Überfall auf die Ukraine verurteilt.
"Wir in Karlshorst haben in den letzten 30 Jahren versucht, nationale Zuschreibungen auszuleuchten und womöglich aufzubrechen", sagte Museumsdirektor Jörg Morré im Mai 2022 in einem Interview mit der "Berliner Zeitung". "Aber nun erfahren sie wieder eine Konjunktur", beklagte er. "Wir erinnern an alle sowjetischen Opfer des deutschen Vernichtungskrieges, unabhängig von deren Nationalität", heißt es in der Erklärung zur Umbenennung des Museums vom April 2022. Die Ausstellung über die sowjetischen Kriegsgefangenen, die von 16. Februar bis 11. Juni in Flossenbürg zu sehen ist, spiegelt diese Haltung wider.
Die Ausstellung
- Titel: "Dimensionen eines Verbrechens. Sowjetische Kriegsgefangene im Zweiten Weltkrieg"
- Ort: KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, ehemalige Häftlingsküche
- Eröffnung: Mittwoch 15. Februar, 18 Uhr
- Dauer: 16. Februar bis zum 11. Juni 2023
- Öffnungszeiten: im Februar täglich 9 bis 16 Uhr und März bis Juni täglich 9 bis 17 Uhr
- Eintritt: frei
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