Langweilige Massenware findet sich hier garantiert nicht. Jedes Dirndl, jedes Kleid und jeder Rock im Atelier von Helga Sichelstiel ist ein echtes Unikat – meist handgefertigt aus einem Stoff mit Vergangenheit. So war zum Beispiel die wunderbare, bestickte Dirndlschütze in ihrem ersten Leben ein Vorhang oder das süße Kleid mit den rosa Blümchen eine Bettdecke. „Alles hat damals mit den alten Stoffen meiner Oma angefangen“, erzählt Helga Sichelstiel und lacht. „Die fand ich viel zu schade zum Wegwerfen und so habe ich erst einmal Sachen wie Küchenschürzen oder Kissen daraus genäht.“ Da war die heutige Schneidermeisterin und geprüfte Textiltechnikern noch in der Ausbildung – und entdeckte zunehmend die Leidenschaft für ihren Beruf. Und ihre Begeisterung, aus Altem Neues zu machen.
„Es kam dann auch die Zeit, in der allmählich das Bewusstsein dafür entstand, besser zu haushalten“, erzählt Helga Sichelstiel. „Schließlich leben wir in einer Gesellschaft, in der viel zu viel einfach achtlos weggeworfen wird.“ Zunächst entwarf und nähte die Ambergerin ihre Kreationen vorwiegend für sich selbst sowie für Freunde und Bekannte. „Als mein Mann und ich dann 2015 das ehemalige Eckert-Gelände hier kauften, standen plötzlich genügend Räume zur Verfügung – und ich habe mir den Traum vom eigenen Atelier erfüllt.“ In den Regalen stapeln sich Stoffe in verschiedensten Farben und mit unterschiedlichsten Mustern. Manche stammen aus Nachlässen und wurden in alten Schränken und Truhen entdeckt. Andere warten nach ihrem Einsatz als Tischdecken, Bettwäsche oder Vorhängen auf eine neue Bestimmung. Darauf, dass sich jemand in sie verliebt und Helga Sichelstiel ein neues Lieblingsteil aus ihnen macht.
„Das ist das, was mir an meinem Job so viel Spaß macht“, erklärt Helga Sichelstiel. „Nicht nur, dass ich aus etwas Altem etwas Neues erschaffen kann, sondern auch, dass ich verschiedenste Menschen anziehen darf. Und die Wertschätzung, wenn dann jemand strahlend vor mir steht und sagt: Wow, das ist genau das, was ich wollte.“ Dass ihr einmal die alten Stoffe ausgehen könnten, davor hat die Modemacherin keine Angst. „Es gibt immer noch so viele Häuser, in denen echte Schätze zu finden sind“, sagt sie. „Früher haben die Menschen ja noch wahnsinnig viele Stoffe gekauft, man hat sie in Schränken gelagert, dann kamen sie aus der Mode oder man hat sie einfach vergessen. Wenn die Häuser dann irgendwann ausgeräumt werden, taucht plötzlich alles wieder auf.“ Alle Stoffe, die Helga Sichelstiel bekommt, steckt sie erst einmal in die Waschmaschine und wäscht sie bei 60 Grad. „Wenn sie das aushalten, dürfen sie bleiben."
Bleiben dürfen aber zum Beispiel auch mal alte Brautkleider oder andere Kleidungsstücke, die geändert oder aufgepeppt werden können. Alle Modebegeisterten, die in das Atelier mitten in der Amberger Altstadt kommen, fühlen sich wohl selbst erst einmal wie Entdecker auf der Suche nach ganz besonderen Schätzen. Und diese sind hier auch regelmäßig zu finden. Das Schöne daran: Wer sich dann für ein neues Lieblingsteil aus alten Stoffen entscheidet, bekommt nicht nur ein individuelles Einzelstück, sondern tut auch noch etwas für die Umwelt. „Die Leute, die zu mir kommen, kaufen bewusst ein“, erklärt Helga Sichelstiel. „Sie sagen: Der Stoff fühlt sich gut an, das ist genau meine Farbe. Und so werden daraus meist tatsächlich Lieblingsteile, die getragen werden, bis sie kaputt sind.“
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